Wie man IT-Projekte zum Scheitern bringt: Kybernetisches Testen

IT-Projekte Beratung

Die Spanier – genauer gesagt, der spanische Markt unseres Kunden aus Deutschland – waren wahre Meister im Marketing, deren Kampagnen fürs Internet und Fernsehen ausgezeichnet wurden.

Ebenso beherrschten sie alle Tools und Software, die sie für ihre Arbeit benötigten.

Aber die neue Software (SAP CRM mit SAP BW), die die Zentrale aus Deutschland mit unserer Hilfe weltweit einführte, kannten – oder wollten – sie nicht.

Wann immer wir ein neues Release der Kundensoftware heraus brachten und sie testen mussten, war es ein ständiges Arbeiten am Abgrund, den sie immer tiefer zu graben versuchten, während wir es zuschütteten: Immerzu drohte alles, abzustürzen und uns allesamt in die Tiefe zu reißen.

Drama Baby

Ich mochte die lebendige und authentische Atmosphäre, die die Spanier mit ihrer Leidenschaft und ihrem Temperament versprühten. Sie wurden nie persönlich oder nachtragend, machten aber uns allen – unserem Kunden und uns als Dienstleister – das Leben so schwer wie möglich.

Es war richtiges Drama, Baby! Mit Lamentieren, Beschweren, Leiden und Eskalationen auf allen Ebenen. Kurzum, es war ein entsetzliches Unglück. Dabei beherrschten sie die Farbpalette der Gefühle, die nur die grellen und lauten Töne kannte. Ohne Sonnenbrille würdest du mit einem Lächeln erblinden (wir verloren fast die Nerven aber nie unseren Humor)!

Was hingegen unsere Kundensoftware betraf, da gab es nur eine Farbe: betrübtes Dunkelgrau.

Blick in den Abgrund

Uns allen in Deutschland war klar, was uns mit dem neuen Release bevorstand. Unser Kunde hatte daher beschlossen, eine Art Aufklärungstrupp in Form von eigenen Mitarbeitern an den Abgrund zu schicken, die herausfinden sollten, was dort unten schief lief.

Wir als Beratungshaus verbuchten das neue Kundenvorgehen als Erfolg. Denn, wenn etwas schief lief, wurde als erstes immer der Dienstleister für schlechte Arbeit pauschal verantwortlich gemacht (das scheint ein ungeschriebenes Gesetz zu sein und sehr populär bei Kunden). Wir konnten mehrfach nachweisen, dass die überwiegende Anzahl der gemeldeten Fehler keine Fehler waren, sondern am Test oder Tester lagen.

Des Pudels Kern

»Das also war des Pudels Kern! Ein fahrender Skolast? Der Kasus macht mich lachen.«

aus Faust I, Johann Wolfgang von Goethe

Einer aus dem »Aufklärungstrupp« kam gebräunt aus Spanien zurück. Als er mich sah, forderte er mich mit seinem Grinsen zum Fragen auf.

»Wie war’s denn in Spanien?«

»Jetzt«, sagte er, »verstehe ich, wie die Spanier testen und warum sie so viele Probleme machen und warum sie so viele Leute für ihre Tests brauchen!«

So viele »unds«, und ich war gespannt. Er schaute zufrieden.

»Sie jagen 20.000 Datensätze über die Schnittstellen in unser System und setzen dann 15 Leute hin, die jeden Datensatz einzeln prüfen.«

Er machte eine Pause und schaute ernst.

»Die wissen gar nicht, was sie an Daten ans System gesendet haben!«

Ich war geschockt. In kürzester Zeit schossen mir tausende Gedanken durch den Kopf, dass ich dem gedanklich nicht nachkam! Planlos, intuitiv, unsystematisch. Sollten das funktionale, fachliche oder integrative Tests sein? Und führten sie nebenbei einen Performance- mit einem Lasttest durch? Keine Ahnung, aber genau das war es. Ich konnte weder lachen noch weinen, so überrascht war ich.

Kybernetisches Testen

Irgendwo entfernt tauchte in meinem Hinterkopf das Wort »Kybernetik« auf.

In meiner Kybernetik-Vorlesung an der Uni beschrieb mein Prof., wie in der Kybernetik die Eigenschaften einer Black-Box erforscht wurden. Als Eingabe feuerte man eine kontrollierte Masse an Daten ins System und schaute, was und wie am Ende die Daten heraus kam.

Also von der Idee gar nicht so schlecht. Aber was in der Kybernetik elegant war, war hier völlig deplatziert. Unser System war keine Black-Box. Die Spanier hatten maßgeblich die Prozesse im SAP CRM mitbestimmt.

Ich war noch in Gedanken versunken, als er mir auf die Schulter klopfte. Er stieß einen Lacher wie einen Seufzer aus. »Ich werde das Management informieren.«

Gemeinsam gegeneinander

Es war beruhigend, dass der Kunde hier erkannt hatte, dass wir als Berater nicht das Problem waren. Eine Front weniger, gegen die wir uns zu verteidigen hatten. Aber der Ausblick blieb dennoch beunruhigend.

Ich dachte nur, wir ziehen gemeinsam am selben Strang an verschiedenen Enden gegeneinander. Und am Ende wird eine Seite wieder nachgeben müssen, damit das hochgespannte Band nicht zerreißt: unsere Seite.

Einer muss immer nachgeben.

Oder etwas zugeben.

Oder noch mehr kontrollieren.

Mit der Software war es wie in einer echten Beziehung: Du kannst noch so gut sein wie du willst, wenn die Person sich nicht auf dich einlässt oder du sie nicht für dich gewinnst, wirst du mit der Person scheitern.


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