Wie man IT-Projekte zum Scheitern bringt: Rot, Grün, Blind

Lost in Consulting Rot Grün Excel-Listen

Ich saß in einem Meeting am Rande Barcelonas. Der Raum war gut gekühlt, dennoch erhitzten sich darin Köpfe und Gemüter. Dort traf ich mich als externer Berater meines Kunden aus Deutschland mit dem Berater des spanischen Kunden meines Kunden – also Externe unter sich. Wir konnten uns in Ruhe die Köpfe einschlagen und klappte etwas nicht, konnten alle sagen: Die Berater sind schuld! Eine wunderschöne Win-Win-Lose-Lose-Situation.

»Wie laufen die Software-Tests«, fragte ich ihn.

»Ganz schlecht«, sagte Escobar. Alle nannten ihn bei seinem Nachnamen, der mich immer an einen kolumbianischen Drogenhändler denken ließ. Vielleicht sollte der Name gefährlich klingen und seine Gegner in Ehrfurcht versetzen.

Er schüttelte ernsthaft den Kopf. »Ganz schlecht, gaaaaanz schlecht.«

Escobar machte ein besorgtes Gesicht, um dem Gesagten mehr Nachdruck zu verleihen. Ich ließ mich davon nicht beeindrucken, das Spiel kannte ich aus vorherigen Begegnungen (hier).

»Wieso denn?« Ich wartete gespannt auf seine Antwort, denn die fielen immer wieder überraschend aus. Probleme tauchten im Projekt an Stellen auf, die wir so nicht erwartet hatten.

Daraufhin öffnete er eine Excel-Liste auf seinem Notebook (Excel und PowerPoint sind die mächtigsten Projekt-Werkzeuge). Drehte das Display zu mir und macht eine Geste, die besagte: Schau doch selbst!

Rot gegen Grün – Die Excel-Liste

Ich blicke auf eine Liste mit Fehlern, die seinen Bildschirm ausfüllten. Es müssten mindestens 30 sein. Oh, dachte ich mir, das sieht nicht gut für uns aus! Aber dann entdeckte ich am Ende jeder Zeile einen Status: Alles auf Grün. Die Fehler waren nicht nur gelöst, sondern von ihnen erfolgreich abgenommen worden.

»Das sieht doch gut aus?!«

Jetzt drehte er entsetzt seinen Kopf zu mir und klopfte vehement mit dem Zeigefinger auf den Bildschirm.

Ich schob meinen Kopf näher an das Display. An der Stelle, wo sein Finger Fettflecke hinterlassen hatte, gab es zwei rote Punkte. Im Grunde ein Witz. Doch für ihn ragten beide rot gefärbten Punkte wie Nadeln heraus, die sich tief in sein sensibles Wohlbefinden bohrten.

Wenn niemand gewinnt, verliert auch keiner

Das Ganze erinnerte mich an einen Pokerspiel, bei dem jeder seine Karten so gut wie möglich auszuspielen versuchte. Allerdings deckte niemand am Ende seine Karten auf, so dass keine Seite wirklich beurteilen konnte, hatte der Gegenspieler gute Karten oder bluffte er nur.

Aber das war ok. Wir beide waren externe Dienstleister und mussten das Beste für unseren Kunden herausholen. Seine Aufgabe bestand darin, alles so schwarz wie möglich zu malen – Rot war das neue Schwarz – und meine Aufgabe, es mit Weiß zu überstreichen.

Es ging nicht ums Gewinnen, sondern, niemand wollte verlieren. Ich versuchte immer, darauf zu achten, dass ich bzw. wir Lösungen fanden, mit denen alle zufrieden waren bzw. niemand sein Gesicht verlor.

Die beiden ausstehenden Fehler kannte ich. Vor dem Termin holte ich mir den Status. Sie wurden von uns schon gelöst und warteten auf die Freigabe.

»Also, ich kümmere mich um die beiden Punkte gleich nach dem Meeting. Spätestens morgen hast du eine Lösung, ok?« Die Freigabe der Lösung für das Produktivsystem erfolgte immer morgens um 6 Uhr, daher mussten wir also bis zum nächsten Tag warten.

Escobar nickte. Dabei verzog er keine Miene. Er konnte, durfte nie zufrieden sein, denn das Spiel war nie vorbei. Er war halt Profi. Ich nicht, daher lachte ich immer in solchen Situationen. Escobar spielte immer fair.

Ich dachte nur, wenn sie jedes Mal so einen Terz wegen solcher Kleinigkeiten machten, dann würde irgendwann niemand mehr reagieren, wenn wir wirklich ernsthafte Probleme bekämen.


2 Antworten zu “Wie man IT-Projekte zum Scheitern bringt: Rot, Grün, Blind”

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert