F**King Big Data

Das Feature „Kunden, die diesen Artikel gekauft haben, kauften auch“ von Amazon hat mir immer wieder mal nützliche Hinweise gegeben. Ich finde diese Funktion interessant und hilfreich.

Aber was wäre, wenn irgendjemand – nicht Amazon, Folgendes daraus machen würde:

„Menschen, die diese Interessen / Eigenschaften / Lebenslauf haben, begangen folgende Verbrechen…“

Klingt zunächst etwas hergeholt?
Ist das überhaupt möglich?
Braucht man dazu nicht einfach nur eine riesige Menge an Daten über uns?

Was glaubst du.

Überall und jederzeit hinterlassen wir freiwillig und unfreiwillig Spuren. Ich bei Payback, bei Facebook, bei google, bei Blogs, mit Klicks und keine Ahnung wo und womit noch überall.

Was sollen sie auch mit meinen Daten anfangen, frage ich mich. Sie können gar nichts damit anfangen. Wenn sie mir Werbung zusenden – na und! Die werfe ich einfach weg.

Aber dann hörte ich mir auf meiner Autofahrt das Gespräch zwischen Frank Schirrmacher und Ranga Yogeshwar auf der Philcologne als MP3-Download an [1]. Mich erstaunte, wie einfach neue Erkenntnisse aus den Daten gewonnen und wie extrem sie genutzt werden konnten. Vor allem verblüffte mich das Weiterspinnen der Möglichkeiten, die schneller real werden konnten als ich es für möglich hielt.

War es wirklich so einfach? Ich dachte nach. Aus welchen für uns alle zugänglichen Informationen könnte ich neue Informationen gewinnen. Und waren sie wirklich so – brisant? Mir fielen mehrere ein, von denen ich drei für erwähnenswert erachte.

Beispiel 1 – Aushebeln der Sicherheit

Mit 13 Jahren bekam ich den C=64er. Während meine Freunde sich wie verrückt durch die Levels der Spiele durchkämpften, wollte ich immer wissen, wie so ein Spiel programmiert wurde. Ich wollte selbst eins schreiben. Um solche Spiele programmieren zu können, dachte ich mir, muss ich genauso programmieren. Ich musste an die Programmzeilen der Spiele herankommen. Das war mir wegen des Kopierschutzes nicht möglich. Der Kopierschutz startete sofort das Spiel, so dass ich von außen keine Möglichkeit besaß, das Anzeigeprogramm zu starten, um mich die Programmierung anzuschauen. Da es damals kein Internet gab, kaufte ich mir ein Buch. Nicht ein Buch über Spieleprogrammierung, sondern über das Schützen von Programmen. Ich wollte den Schutzmechanismus verstehen, um ihn dann auszuschalten. Ich brauchte nur einen einzigen Satz aus dem Buch und eine Minute, um den Sicherungsmechanismus nahezu aller Spiele auf meiner Datasette auszuhebeln.

Beispiel 2 – Zum Kuckuck mit dem Vater

Während die Episode mit dem C=64er spannend war, spielte die zweite Situation sich im langweiligen Biologieunterricht der Mittelstufe ab. Genetik. Mendelsche Regel. Vererbung von dominanten und rezessiven Merkmalen. Bis zum Erbrechen wurden die Kreuzungsversuche mit Erbsenpflanzen in allen Variationen durchexerziert. Spannend wurde es erst, als wir auf den Menschen zu sprechen kamen. Auch Menschen hätten dominante und rezessive Merkmale, die äußerlich leicht zu erkennen seien.

Er ging ein bestimmtes Beispiel durch, und sofort machte es „Klick“ in meinem Kopf. Weist das Kind ein dominantes Merkmal auf, dann verfügt ein Elternteil auch über dieses Merkmal.
Sofort meldete ich mich und hakte nach.
„Wenn jetzt beide Eltern dieses dominante Merkmal nicht haben, können es ihre Kinder auch nicht haben?“
„Ja.“

Ich schloss daraus: wenn ein Kind ein dominantes Merkmal aufwies und keines der Eltern, dann war ein Elternteil nicht der Leibliche. Die Wahrscheinlichkeit, dass der Vater nicht der richtige Vater war, stufte ich dabei als sehr hoch ein. Irgendwann las ich, dass mit der Anzahl der Kinder die Wahrscheinlichkeit des Fremdgehens zunahm. Eine Zeitlang schaute ich mir die Eltern meiner Schulfreunde genauer an. Zum Glück konnte ich hier keine „Kuckuckskinder“ ausfindig machen…

Beispiel 3 – Du bist schwanger, wenn du…

Meine sehr gute Freundin war in ihrer Schwangerschaft extrem sensibel gegenüber Gerüchen. Ich traute mich kaum, Parfüm in ihrer Nähe aufzutragen. Entschied mich dann für das dezente Auftragen statt bei Treffen mit ihr ganz darauf zu verzichten.
Als wir wieder einmal unterwegs waren, musste sie noch Einkäufe erledigen. Ihr fehlte eine Duschlotion. Als sie lange suchte und dann bei einer geruchslosen Variante fündig wurde, war ich etwas erstaunt. Sie erinnerte mich aber an ihre extreme Geruchsempfindlichkeit, die sonst zu Übelkeit führen konnte.

Irgendwann war ich alleine Einkaufen und stand auch vor dem Regal mit den Körperpflegeprodukten als neben mir eine Frau zu der geruchslosen Variante griff. Ich schaute sie mir ein. Sie schien kein Öko-Freak zu sein. Gepflegt. Normal. Ist sie schwanger, fragte ich mich. Fand aber keine weiteren Indikatoren dafür.

Bis ich eine Sendung über künstliche Vitamine hörte. Die Sendung ging der Frage nach, wie sinnvoll und nützlich künstliche Vitamine seien. Jeder mit gesunder und abwechslungsreicher Ernährung sei nicht auf künstliche Präparate angewiesen. Sie nannten ganz wenige Ausnahmen. Eine davon betraf schwangere Frauen, denen empfohlen wurde, Folsäure einzunehmen, weil die Menge über die normale Ernährung meistens zu gering ausfalle. Damit bestand also durch eine Kombination der Information „unparfümiertes Produkt“ und „Folsäure“ eine sehr hohe Wahrscheinlichkeit, auf eine Schwangerschaft zu schließen.

Toll! Und, was hat das mit der Praxis zu tun?

So schlau und viel schlauer waren bereits andere lange vor mir! Wie es der Zufall wollte, erzählte Frank Schirrmacher auf der Philcologne von einem Beispiel aus der Praxis zu dieser Kombination.

Voll aus dem Leben

Eine Kundin begann, unparfümierte Bodymilk zu kaufen. Später kam die Folsäure hinzu. Ein Computer folgerte aus diesem Kaufverhalten, dass die Kundin mit 99% Wahrscheinlichkeit schwanger sei. Daraufhin veranlasste der Computer das Versenden eines Briefs an die Kundin. In dem Brief wurde der zukünftigen Mutter gratuliert und parallel die passenden Produkte beworben.

Etwas merkwürdig, aber nicht so schlimm, oder?

Ein Mann fand diese Aktion nicht so gelungen. Wütend rief er beim Absender des Briefs an und beschwerte sich darüber, wie es sein konnte, dass seine Tochter einen solchen Brief erhalten konnte – seine Tochter war erst 14! Aber damit war es noch lange nicht zu Ende.

Der Manager meldete sich daraufhin beim Vater und entschuldigte sich. Ihnen sei ein Fehler unterlaufen, es tue ihnen Leid. Der Vater war jedoch dieses Mal etwas kleinlaut am Telefon. Peinlich berührt entschuldigte er sich beim Manager. In der Zwischenzeit hatte ein Gespräch zwischen Vater und Tochter stattgefunden, in dem er aufgeklärt wurde. Jetzt wusste auch er von der Schwangerschaft seiner Tochter.

Fantasie oder Realität

Und jetzt?

Nun, ich habe Informationen genommen. Sie zweckentfremdet. Obwohl Information etwas Gutes bewirken wollten, habe ich sie ins Gegenteilig verkehrt. Ich konnte Dinge über Menschen erfahren, über die sie selbst oder ihnen nahestehende Menschen nichts wussten. Und das Ganze zu einer Zeit, als es noch kein Internet gab.

Na und. Welche negativen Auswirkungen hat das jetzt für mich?

Stell dir vor, jemand gibt im Internet die richtigen Suchwörter ein. Bekommst damit jegliche Form von Informationen über dich! Umgeht alle Sicherheitsvorkehrungen. Gelangt an private und sensible Daten. Weiß etwas über dich. Vielleicht bevor du es selbst weißt.

Stell dir vor, jemand analysiert deine Fotos und findet heraus, du bist ein uneheliches Kind. Beginnt dann, deine Eltern zu erpressen.

Stell dir vor, kurz vor Ablauf deiner Probezeit bekommt dein Arbeitgeber mit, dass du gerade schwanger geworden bist. Oder das Unternehmen, bei dem du gleich dein Bewerbungsgespräch hast, hat Zugang zu diesen Daten. Oder das Unternehmen kauft sich diese Daten, um deine charakterliche Eignung für diesen Job zu prüfen statt dein tatsächliches Können zu berücksichtigen. Oder deine neue Krankenkasse prüft „deine“ Daten hinsichtlich auffälligen Verhaltens, die du plötzlich mit psychisch Kranken vor dessen Ausbruch der Krankheit gemeinsam hast, obwohl du nie diese Krankheit haben wirst. Oder im Gericht werden „deine“ Daten für eine Sozialprognose genutzt. Die fällt negativ aus. Vermutlich wirst du dich dann aus Frust, Ärger und was auch immer genau wie vorausberechnet verhalten, was das gesamte System weiter bestärkt und aufsaugt.

Bevor du also dein Leben gelebt und dich schuldig gemacht hast, wurdest du bereits von einem seelenlosen Apparat verurteilt.

photo credit: copyright 2013 by fxhakan

Quellen & Links

[1] WDR5 Spezial: Das Spiel des Lebens- Frank Schirrmacher und Ranga Yogeshwar im Gespräch bei der Philcologne
URL: http://www.wdr5.de/sendungen/wdr5-spezial/s/d/10.07.2013-20.05.html, Stand 26.07.2013


3 Antworten zu “F**King Big Data”

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