„Shades of Grey 3“ oder Schatten des Grauen

Vielleicht bin ich verdorben. Auf jeden Fall war ich neugierig. Ein Weltbestseller, der Millionen von Frauen ansprach. Mir stand also etwas sehr aufregendes bevor. Es war dann auch sehr aufregend und vor allem eine schnelle Nummer mit vielen Unterbrechungen – mit so vielen Unterbrechungen, dass ich es nur mit Mühe bis zum Track 4 schaffte. Das Hörbuch „Shades of Grey – Befreite Lust“ mit seinen 1.000 min. für 12,- € verführte mich. Die Worte Stephen Kings halfen etwas nach: die Beschreibung der Sexszenen seien gut gemacht. Bis dorthin schaffte ich es jedoch nicht. Dabei begannen die ersten wenigen Sekunden überraschend und vielversprechend.


„Mommy! Mommy!“ Rufe eines Kindes im trauten Heim. Ungehört, flehend. Sie zerbrechen an dem erkalteten Körper der Mutter. Ein verzweifelter Versuch des Kindes, ihren Körper mit Decken aufzuwärmen. Nur der Hunger reißt ihn für einen Moment von ihr los. Dann wacht er auf. Ein Traum oder eine reale Erinnerung aus der Vergangenheit?

So entsetzlich und verstörend das beschriebene Szenario war, blieb sie für mich zu fern. Erreichte und berührte mich nicht. Lag das an mir? Ich wusste es nicht; bevor ich mitfühlen konnte, war der Traum bereits ausgeträumt. Ich hörte weiter.

„Christian! Christian!“ Mit diesen Rufen schaffte es Ana, ihn aus seinem Albtraum zu befreien und da wurde mir klar, dass es an den ständigen Wiederholungen der Ausrufe lag. Sie nervten mich. Standen meinem Mitfühlen und Miterleben im Wege. So herzergreifend die Situation des Kindes auch war, so wenig konnte die Autorin E. L. James mich dafür erwärmen. Ihre sprachliche Decke war dafür viel zu dünn. Ich war ergriffen, wollte teilhaben und vor allem wissen, was fühlt das Kind? – Nichts. Der „Mami“-Schrei in verschiedener innerer Lautstärke als Steigerung der Emotionen. Kein Gefühl der Verzweiflung oder Beklemmung, nur die vage Andeutung von Angst. Vielleicht war ich zu kritisch, denn sie schrieb aus der Perspektive eines Kindes. Doch zugleich war es der Traum eines Erwachsenen.

Christian wachte auf. Er hatte Angst. Doch wie erlebte ich seine Angst mit? Im Grunde kann ich mich nicht erinnern, dass der schöne Christian schweißgebadet im Bett lag. Er war einfach wach, leicht verwirrt und seine wunderschöne Ana flüsterte ihm etwas Schönes ins Ohr.

„Schön“ blieb mir im Gedächtnis haften. Sie war schön. Er war schön. Alles war so schön. Das Wort wiederholte die Autorin so häufig, dass es mich auch schon bald begann, aufzuregen. Das „Schön“ glänzte in Rosa und Drumherum verblassten Worte und verloren sich im Banalen. Die wenigen Worte und Sätze, die ich mir anhörte, empfand ich als zu plump, fantasielos und sprachlich sehr seicht. Es folgten verbale Klischees gewattebäuscht in kitschigem Liebesgesäusel, phrasenhaft und vorhersehbar. So spannend wie ein Porno ohne Sex und sprachlich auf dem Level meiner Comics „Lustige Taschenbücher“ aus meiner Kindheit. So wurde jeder Satz zu einer Qual – oder war das etwa der süßliche Schmerz, von dem alle sprachen? War ich vielleicht nicht dazu bereit, mich dem Buch völlig hinzugeben?

Ich brauchte eine Pause. Schaltete das Hörbuch aus. Mitten in irgendeinem Satz. Raste indes ein paar Kilometer auf der Autobahn weiter. Wie immer höre ich auf meinen langen Fahrten zum Projekt Hörbücher. Das Buch war wirklich aufregend, so sehr, dass ich darüber schreiben musste! Dann drückte ich wieder auf „PLAY“.

Eine Strandszene. Idyllisch und ideal für den Klassiker: umwerfend gut gebauter Mann trägt seine traumhaft schöne Frau in seinen starken Armen ins kristallklare Wasser. Sie necken sich. Die beiden gaben so ein tolles Bild ab, dass sie die Blicke der ansonsten desinteressierten und gelangweilten Strandgäste auf sich zogen. Und plötzlich prickelte es – und du weißt schon wieso: Sex im Wasser!

Während er im feuchten Nass stand, freute sich Ana auf den Sex, weil der Sex mit Christian so überwältigend war. Aber Christian war ein wahrer Genießer und zögerte es hinaus, verschob den Sex auf später, wenn sie alleine sein würden und alle Zeit der Welt hätten. Was für ein Mann! Also ließ er sie los. Sie plumpste in Wasser und landete freudig auf dem weichen Sandboden. Ach, wie schön! Nur, bei mir wollte sich nicht so recht dieser wohlig-warme Schauer einstellen. Vor kurzem habe ich nämlich am Meer Urlaub gemacht und bin dort in eines der wärmsten (mir bekannten) Meere freiwillig hineingesprungen. In einem kurzen Moment erlebte ich den Kälteschock. Aber auch hier gilt für mich: Vielleicht kenne ich nicht diesen immunisierenden Schutzmantel, der sich um berauschte Paare legt? Ich bleibe dabei, so flach wie das Wasser bleibt der Fortgang und führt zum Altar.

Eine Rückblende in eine Kirche. Beide standen sie sich gegenüber. Sie trug ein Brautkleid. Lies ihren Blick durch den Raum gleiten. Was erwartete ich in einem Moment höchsten Glücks, wo mit jeder Faser des Körpers alle Sinneseindrücke aufgesogen werden? Gefühl und Atmosphäre, zumindest ein kleines Stück vom Hochzeitskuchen. Doch sie blieb wieder am Oberflächlichen haften und versuchte das Prickeln mit sexuellen Andeutungen. Aber die Kirche, der Raum, die Weite, die Gäste – nichts. Immer wieder das Wort „Schön“ in allen pinken Facetten. Dem grellen Rosa ordnete sie alles unter, egal wie unrealistisch.

Und schon wieder schaltete ich das Hörbuch aus. Was ich an Minuten beim Hören nicht schaffte, machte ich an Kilometern auf der Autobahn gut. Mehr als 200 km hatte ich hinter mir und mehr als die Hälfte lagen vor mir. Ich schaute auf das Display: Track 4. Weit war ich nicht gekommen und weiter wollte ich nicht mehr gehen. Der Roman war flacher als jedes Size-Zero-Modell.

Vor kurzem hatte ich „Stolz und Vorurteil“ von Jane Austen gehört. Was für ein Genuss! So heiter, so leicht, stellenweise lustig und auch mal ernst. Vor allem aber sehr geistreich und lebendig. Ich freute mich auf die Autofahrten und konnte es manchmal kaum erwarten. Und während bei „Shades of Grey“ Ana und ihr Christian ständig Sex in allen erdenklichen Variationen haben, erinnere ich mich nicht, ob Elizabeth und Mr. Darcy sich je geküsst hätten.

Das Hörbuch durchzuhören, nein, dazu war ich nicht in der Lage. Vielleicht sollte ich mir Teil 1 holen? Aber das wollte ich nicht riskieren. Trotzdem blieb die Frage: Warum ist das Buch so erfolgreich?

Bei meiner Suche nach einer Antwort stieß ich auf die israelische Soziologin Eva Illouz [1]. Ihrer Auffassung nach lag es nicht an den Sexszenen. Ich nahm das wohlwollend zur Kenntnis, musste ich mich jetzt nicht mehr bis dorthin durchkämpfen. Auch ihr bereiteten die Lektüren „fast Schmerzen“. Auch das beruhte mich, denn ich war nicht allein. Eva Illouz Auffassung nach verberge sich im Roman eine klassische Liebesgeschichte, womit sie den Erfolg erklärte. Weiterhin enthielte das Buch praktische Tipps im Umgang mit Sexspielzeug und SM betreffend.

Den Hauptgrund für den Erfolg sieht sie in dem Sadomaso-Vertrag zwischen Ana und Christian, der die Unsicherheit in den Geschlechterrollen auflöse, die durch die Gleichheit zwischen den Geschlechtern entstünde. Der Sadomaso-Vertrag läge die Rollen und das Verhalten für beide Seiten fest. Die Asymmetrie bzw. die Hierarchie also die Ungleichheit wären im Rahmen des Vertrags ausgehandelt und akzeptiert. Ein solcher Sadomaso-Vertrag bietet Sicherheit und erfordert Vertrauen.

Das klang zunächst etwas verwirrend, denn hört es sich an wie „Frauen wollen dominiert werden“, also sehr altbacken. Daher führt sie weiter aus, dass es nicht um das Herbeisehnen traditioneller Geschlechterrollen ginge, sondern um das Phantasieren über Geschlechteridentitäten. „Der moderne Mensch“, sagt sie, „weiß viel weniger, wie er zu sein hat. Das muss immer verhandelt werden.“ Weiter führt sie aus: „Unter diesen Bedingungen bietet sadomasochistischer Sex eine Möglichkeit zu mehr Sicherheit. Denn da weiß jeder genau, was er zu tun hat, die Rollen sind festgelegt. Gleichzeitig aber tut man etwas, das sich nicht traditionell anfühlt.“

Das klingt plausibel, aber nicht sehr einfach. Was mich betrifft: ich bin verdorben für kitschige Literatur. Aber, vielleicht bin ich auch gefangen in einer schwarz-weißen Welt und farbenblind, so dass mir die verschiedenen Nuancen des Graus einfach farblos erscheinen.

photo credit: manos_simonides via photopin cc

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Links

[1] FAZ online – Ein Gespräch mit Eva Illouz: Ist Sadomasochismus die Lösung?
URL: http://www.faz.net/aktuell/feuilleton/bilder-und-zeiten/interview/ein-gespraech-mit-eva-illouz-ist-sadomasochismus-die-loesung-12239460.html, Stand 23.11.2014


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