Weihnachtspakete by pixabay

Das Paket der anderen oder Lächeln zu verschenken

Schhr-Schhhhhhrrring!

Kaum ertönt das erste Klingeln schon wird es vom Zweiten abrupt überrumpelt und abgewürgt, als würde es nicht schnell genug gehen. Das Klingeln an meiner Haustür klingt merkwürdig, irgendwie dringend und abgehetzt.

Es ist kaum 14 Uhr und Freitag. Zu meinem eigenen Erstaunen bin ich heute viel früher zu Hause.

Um diese Uhrzeit schaut selten jemand unangekündigt bei mir vorbei. Es muss der Paketdienst sein, denke ich mir, auch wenn ich selbst kein Paket bestellt habe. Meine Bestellungen sende ich in letzter Zeit zu meiner Schwester oder Mutter, weil ich es nicht mag, dass die Pakete zu Unzeiten kommen und bei einem Nachbarn landen.

Natürlich lerne ich dadurch meine Nachbarn besser kennen, wie jene Dame, die ich am frühen Nachmittag aus dem Bett klingelte, und die mit ihrem unausgeschlafenen Gesicht statt mit Worten mit mir redete.

Auf dem Weg zur Haustür sehe ich durch die Scheiben grelles Gelb auf Schwarz. Der Mann beschäftigt sich mit einem Paket und dem Unterschriftenpad in der Hand. Normalerweise schauen alle durch die Scheibe in den Flur hinein. Ich öffne die Tür.

»Hallo.«

Der Mann fuchtelt mit dem Paket, das mich mit einem Smiley von der Seite anlächelt, vor meiner Nase herum und gestikuliert hektisch in Richtung Nachbarhaus. Amazon. Aber keine Bücher. Ich bin etwas irritiert. Kann er auch Worte sprechen?

Je länger ich ihm zuschaue, und je länger er das Paket in der Hand hält, desto unruhiger scheint er zu werden. Gibt es eine Regel wie lange Pakete in der Hand gehalten werden dürfen wie beispielsweise Burger nach deren Zubereitung? Kaum habe ich den Gedanken zu Ende gedacht, höre ich hinter mir Türen aufgehen, drehe mich im Flur um und sehe alle meine Nachbarn. Sehr geschickt, eine Art Klingeljagd ohne Weglaufen.

»Haben Sie alle in diesem Haus herausgeklingelt?« Ich lächle und blinzle dem Mann zu. Das Haus ist das Dritte in der Reihe, fällt mir ein. Dann muss er es in den beiden auch versucht haben. Seine Methode finde ich – wenn auch auf eine egoistische Art – sehr effektiv.

»Entschuldigen Sie, ich habe es eilig.«

Oh Wunder, Worte in einem ganzen Satz.

Er fuchtelt wieder mit dem Paket, diesmal ein wenig energischer. Will er mich damit locken? Spannung, Spiel und Schokolade.

»Gib her.«

Er händigt mir das Paket aus.

»Jetzt habe ich alle Weihnachtsgeschenke beisammen!« Ich schüttle das erstaunlich leichte Paket, während ich es ans Ohr halte und grinse wie ein Kind kurz vor der Bescherung. Eigentlich freue ich mich über den Satz, weil er mir spontan einfiel. Ich las ihn auf Twitter. Jetzt entließ ich ihn in die Welt, um zu sehen, was er dort anrichtet.

Er reißt seinen Kopf hoch und seine Augen auf. Ich sehe das erste Mal etwas wie ein Gefühl in seinem Gesicht aufflackern.

»Das ist Ihr Name?!« Klack. Er klopft mit dem Ende des Stiftes auf meine Klingel. Noch ein Klack wie bei einem Zeigestab eines Lehrers.

»Ja.«

Wieder senkt sich der Kopf. So viel Aufmerksamkeit, huscht ein Gedanke durch meinen Kopf, wie er dem Paket schenkt, sollte er vielleicht dem Menschen schenken. Jetzt klopft der Stift gegen das Display des Pads: Er tippt. Spaß scheint er nicht zu verstehen.

»Bei ihnen lachen wohl nur die Pakete.«

Den Amazon-Werbespot sah ich so häufig im Fernsehen, bis er mich so sehr nervte, dass ich in Gedanken dem Fernseher ein »Bei euch sind nur die Pakete glücklich, aber nie die Mitarbeiter!« entgegen schleuderte. Man hört und liest so vieles über deren Arbeitsbedingungen, die mich jedes Mal wütend machen und solidarisch aufschreien lassen. Aber wie jede nicht selbst erlebte negative Erfahrung verblasst sie in kurzer Zeit, vor allem wenn sie sich als Nachteil für die eigene Bequemlichkeit herausstellt. Aber wie jede Wahrheit gibt es hier kein Schwarz-Weiß, vielleicht mehr dunkle Grautöne. Zu der Zeit, zu der ich arbeiten gehe, sind alle Läden geschlossen. Zu der Zeit, zu der ich aus der Arbeit komme, sind die Bücherläden geschlossen. Auf Bücher kann ich nicht verzichten, nur für eine kurze Weile…

»Entschuldigung, ich habe es eilig.«

Ja dann. Ich bin ja nur wegen des Vergnügens hier! Ich überlege kurz, mich auch zu entschuldigen, weil ich zu langsam bin und seine kostbare Zeit nicht respektiere. Oder ihn für sein schlaues Vorgehen zu loben, als mir einfällt, dass der Mann im Stress-Modus läuft, von dem er ganz in Besitz genommen wurde und aus dem er (momentan?) nicht mehr herauskommt.

Ich unterschreibe in einer Kindergartenschrift, die mich jedes Mal von neuem erstaunt, weil Trotz meiner wundervollen Handschrift mir niemals eine Unterschrift auf diesen Pads gelingt. Was denkt mein Nachbar von mir? Bestimmt, dass ich Arzt bin.

Das gesamte Intermezzo dauert keine fünf Minuten.

Als ich mich in Richtung meiner Wohnung drehe fällt mir wieder ein, warum ich lieber etwas online bestelle: Der ansteckende Stress und die unnötige Hektik der Menschenmassen um mich herum nervt mich total!

Da fällt mir etwas ein: Ich werde ab sofort zu verschiedenen Anlässen Karten statt Geschenke verschenken, auf denen steht: »Dein Geschenk wurde bei deinem Nachbarn XYZ abgegeben. Hole es dort bitte ab«.

Frohe Weihnachten!

photo by pixabay


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