Superman Reverse

Autobahnjudo oder Mut im Windschatten

Judo, das klang für mich alles andere als cool. Als ich mich als Jugendlicher dafür einschrieb, wusste ich nicht einmal, dass es sich um eine Kampfsportart handelt. Damals begeisterte ich mich für Kung Fu, angeregt durch Bruce Lee und Shaolin Filme. Judo hingegen war „der sanfte Weg“. Keine Schläge, Tritte oder beeindruckenden Bewegungen. Die Kunst bestand vielmehr darin, durch Nachgeben einen Sieg über seinen Gegner zu erringen. Man nutzt die Kraft des manchmal viel kräftigeren Gegners aus. Vielleicht gibt man ihm einen kleinen Schubs, um ihn in die richtige Richtung zu lenken. Besiegt ihn mit minimalstem Aufwand und maximalstem Effekt. Im Grunde etwas wie die Kunst, den Gegner sich selbst besiegen zu lassen ohne ihn dabei zu verletzten!

Es dauert seine Zeit, bis ich Judo und die in ihm innewohnende Haltung zu verstehen und zu schätzen verstand. Nur dass sie mir kürzlich auf der Autobahn helfen würde, damit hätte ich nie gerechnet! Nun, im Autoverkehr von Gegnern und Kampf zu sprechen klingt nicht ganz richtig, aber so falsch fühlt es sich dennoch nicht an.

Sein Wagen ist größer und schneller als meins. Er könnte problemlos an mir vorbeirauschen, wenn ich nicht ihm den Weg versperren würde. Eigentlich haben wir eine Geschwindigkeitsbegrenzung von 120 km/h, daher behindert eher dieses kleine Detail sein rascheres Vorankommen, nicht ich. Mein Wagen kann hier locker mithalten. Nicht nur das, ich fahre auch etwas schneller. Noch schneller sollte man dann doch nicht fahren!

Aber, ich will ihm nicht vorschreiben, wie er zu fahren hat. Auch will ich mich nicht von ihm provozieren lassen. Ich bin zu Recht auf der linken Autobahnspur, denn ich überhole gerade einen anderen Wagen. Dennoch, er fährt dicht auf, macht Lichthupe, schwenkt links und rechts aus. Im Rückspiegel kann ich ihn beobachten, wie er mit verzerrtem Gesicht wild gestikuliert und etwas schreit. Er sitzt alleine im Wagen, sonst würde er sich wohl nicht so aufführen.

Ich könnte es persönlich nehmen, mich von ihm provozieren und anstecken lassen, um mich dann auch aufzuregen. Aber wozu? Weder er noch ich würden dadurch schneller vorankommen. Vielleicht schafft er es, ein paar Minuten herauszuschlagen, die er dann gerne zum Aufregen und Cool-down nutzt. Damit wäre die gewonnene Zeit nutzlos verstrichen. Ich kenne das.

Ich war nicht immer so gelassen und ruhig. Kam häufig wie gerädert an. Ein schnelles Auto fuhr nicht wirklich schneller. Es verführte nur schneller. Es kostete mich mehrere Tausende von Lehrmeilen, die ich auf der Autobahn in unzähligen Stunden sammeln musste. Spaß war etwas anderes und für die Punkte konnte ich mir keine tollen Prämien aussuchen!

Also versuche ich, so schnell wie möglich der vermeintlichen Provokation aus dem Weg zu gehen. Das ist immer leichter gesagt als getan. Man will ja nicht als Feigling dastehen, was eine völlig abwegige Vorstellung ist. Was mich immer noch stört – diese Menschen glauben mit ihrem Verhalten erfolgreich und damit im Recht zu sein. So werden sie sich nie ändern – oder vielleicht doch? Ich glaube nicht, dass man andere Menschen ändern kann, nur dass man ihnen helfen kann, sich selbst zu ändern [1].

Er wird wieder ungeduldig. Ich setzte den Blinker. Jetzt erst kann ich auf die mittlere Fahrbahn wechseln. Beschleunige etwas. Anscheinend geht ihm das nicht schnell genug. Er drängt wieder. Ich gebe noch ein bisschen mehr Gas und wechsle dann auf die Mittelspur.

Vor mir befindet sich ein Auto, das ich auch gleich überholen muss. Also muss ich wieder auf die linke Spur wechseln. Indes versucht mich der Mann zu überholen, hat er doch eine freie Bahn. Jedoch, so recht scheint ihm das nicht schnell genug zu gelingen. Er scheint dies zu bemerken und gibt ungeduldig Gas. Jetzt fährt er zu schnell. Ich fahre langsamer, damit ihm das gelingt. Zugleich bereite mich auf meinen bevorstehenden Spurwechsel vor, achte jedoch darauf, nicht nur meinen Vordermann nicht zu bedrängen, sondern auch den Fahrer hinter mir nicht unnötig abzubremsen. So etwas kann auch nerven.

Als er mich endlich überholt hat, kann ich auf die linke Spur zurückwechseln. Sofort befinde ich mich hinter ihm. Halte aber dann genug Abstand. Ich mache nichts, was ihn provozieren könnte! Ich möchte mich nicht mitschuldig fühlen, wenn er einen Unfall aus dieser Situation heraus verursacht.

Ich bin einfach nur da. Jetzt halt dort, wo er zuvor war. Wenn ich ihn richtig einschätze, dann brauche ich auch nichts zu machen, außer vorschriftsmäßig zu fahren. Er jedoch fährt jetzt vor mir her, wohl wissend, welche Aktion er zuvor abgezogen hat. Jetzt kann er sehen, dass vor ihm keine weiteren Autos sich auf irgendeiner Spur befinden. Er hat freie Fahrt. Doch diese Strecke zeichnet sich durch mehrere Blitzer aus, also kann er nicht einfach davonfahren. Es gibt auch kein anderes Auto weit und breit, hinter dem er sich verstecken und über das er sich aufregen könnte, denn die hat er alle überholt. Jetzt traut er sich nicht. Weder in gleichem Tempo weiter zu fahren, noch zu verlangsamen. Er hat durch sein Überholmanöver unnötig an Geschwindigkeit gewonnen. Er hat sich durch sein Handeln und Denken freiwillig in ein Korsett gezwängt, aus dem er nicht mehr so leicht herausbrechen kann. Sein Spiel beruhte darauf, sich auf einen vermeintlichen Gegner einzuschießen. Es gab aber nie einen Gegner. Er spielte die ganze Zeit nur gegen sich selbst. Nur, wie gewinnt oder beendet man ein solches Spiel?

Während mir diese Gedanken durch den Kopf gehen, wird es Zeit, wieder auf die Mittelspur zu wechseln. Doch plötzlich zieht er das Steuer nach rechts, wechselt auf die Mittelspur und bremst. Er bremst mehr als nötig ist! Es scheint, als hätte er den „Stopp“-Knopf für den Notfall, der sich an den Laufbändern in Fitnessstudios befindet, abrupt gedrückt. Ich bin überrascht und fahre an ihm vorbei.

Schaue zu ihm hinüber. Ist er sauer? Telefoniert er? Nichts von beidem. Er schaut nach vorne mit einem peinlich berührten Gesichtsausdruck und anscheinend neuer Erkenntnis.

Links & Quellen

[1] fxhakan Blog – Warum Frauen uns Männer ändern wollen
http://fxhakan.wordpress.com/2010/04/25/warum-frauen-uns-manner-andern-wollen/


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