Kleine Teufel

Früher war alles gestern, aber dafür analog und wiederbespielbar. Seien es die Musikkassetten, die wir immer wieder überspielten oder die Videokassetten. Die Videorecorder eroberten im Sturm die Wohnzimmer aller türkischen Familien, die ich kannte. Es gab kein türkisches Fernsehen und so holten sie sich ein Stück Heimat nach Deutschelande.

In meiner Erinnerung blieb ich das nette und zuvorkommende Kind, das keinem ein Haar krümmen konnte. Doch gestern traf ich auf einer türkischen Hochzeit alte Bekannte wieder. Jetzt waren wir eine Männerrunde und zu jener Zeit, kleine, freche Hosenscheißer. Alle dankten dem da oben, dass keiner ihrer Kinder so waren wie wir. Das hielt uns nicht davon ab, uns köstlich über unsere vergangenen Streiche zu amüsieren. Ein Streich blieb besonders in Erinnerung – die entsetzliche Videokassette.

Damals befanden sich die Videotheken in den Wohnzimmern von Bekannten, denn sie verfügten über einen zweiten Videorekorder. Originale wurden da gerne und vielfältig kopiert. Da es sich um türkische Filme handelte, juckte das keine Sau.

Eines Tages entdeckten wir wie viele Familien, dass die werten Herren alte Filme mit neuem Material überspielten oder ursprünglich sich zwei Filme auf dem Band befanden. Also ließ man am Ende des Hauptfilms die Kassette einfach gespannt weiterlaufen. Häufig mit Erfolg. Und plötzlich befand man sich inmitten eines anderen Films und jeder versuchte zu erraten, um was für einen Film es sich handelte. Manchmal war das ein viel größerer Spaß als der Hauptfilm.

Eines Abends lief mir ein Gedanke durch den Kopf, der mir Angst machte. Als hätte es da draußen jemand gehört, traf es ein. Der Schreck inspirierte mich zu einem fiesen Streich.

Wir hatten wieder Besuch. Eltern mit Kind. Die Erwachsenen mussten kurz etwas erledigen. Wir durften zuhause bleiben, auch ihr Kind. Murat war in unserem Alter. Wir spielten gerne zusammen, weil er sich vor nichts fürchtete und alles mitmachte.

»Wir spielen Rennen!«, rief ich. »Wer als Erster im Wohnzimmer ist, gewinnt!«
»Jaaaa« schrien beide vor Begeisterung. Also ließ ich sie zum Kinderzimmer vorgehen. Dort startete das Rennen. Mein Bruder lenkte ihn ab, damit ihm nicht auffiel, dass ich nicht sofort mitkam. Er war eingeweiht.

Ich bereitete den Streich vor und konnte mit dem Lachen kaum aufhören. Ich musste mich richtig zusammenreißen, damit Murat keinen Verdacht schöpfte.

»1, 2, 3 und los!«

Murat stürmte los. Mein Bruder und ich ließen uns absichtlich zurückfallen. Und dann trat er als erster ins Wohnzimmer ein.

»Uaaahhhhhhhh«. Ein düsteres Schreien. Wir wussten nicht, kam es von ihm oder aus dem Fernseher. Dann stürmte er aus dem Wohnzimmer direkt auf uns zu und schrie »Mama!«. Wir empfingen ihn mit offenen Armen und konnten uns kaum aufrecht vor Lachen halten. Wir wussten genau, was er gerade auf dem Fernseher in schauriger Lautstärke gesehen hatte.

Ein zerfressener Arm griff aus einer Luke im Dielenboden in den Raum. Augen ohne Pupillen starrten aus einem grauenvoll entstellten Gesicht, während die schreienden Menschen mit aller Gewalt die Klappe der Luke zuzuhalten versuchten. Dann packt der Zombie einen Stift und rammt es in den Fuß einer Person. Bohrt darin. Am Ende dieser Videokassette befanden sich Reste des Films »Tanz der Teufel«!

Der Film machte uns immer noch solche Angst, dass wir nur auf den Videorecorder starrend den Film ausschalteten. Dann lachten wir gemeinsam. Nahmen uns vor, den Film mal anzuschauen. Denn etwas Schlimmeres hatten wir nicht gesehen. Murat lachte immer noch. Immer wieder erzählte er etwas über die Szene, die er gesehen hatte und über seinen Schreck. Schnell spulten wir den Film wieder an den Anfang zurück, sonst mussten unsere Eltern 50 Pfennig nachzahlen. Wir wären dann aufgeflogen.

Als wir an einem anderen Wochenende Besuch hatten, durften wir wieder etwas länger aufbleiben. Wir schauten gemeinsam einen Film. Wir Kinder fanden das immer toll, weil wir bei den Erwachsenen bleiben durften und meinten, Dinge zu tun, die Erwachsene tun. Das Ende kam und nicht alle warteten gespannt, ob und was sich auf dem Band befand. Eine lustige Komödie! Mein Bruder und ich atmeten erleichtert auf. Lange ging das gut. So lange, bis alle beängstigenden Erinnerungen verblassten. Dann erschien etwas Rauschen auf dem Fernseher.

»Da ist nichts«.
»Doch, warte mal.« Alle schauten gespannt. Und plötzlich erschein ein klares Bild. Die Farben grün und rot dominierten. Ich konnte nicht erkennen, was es war. Etwas krächzte. Dann sah ich es. Ein Gesicht voller offener Wunden und Eiter – Der Exorzist! Sofort schaltete man den Film aus. Die Angst war bereits da. Bei diesem Film trauten wir uns nicht einmal die Kassette anzufassen.

Wir lachten und schüttelten die Köpfe, während im Hintergrund die Hochzeitsmusik überlaut aus den Boxen tönte. »Den Film«, sagte ich fast flüsternd, obwohl das bei der Lautstärke kaum möglich war, »würde ich niemals alleine angucken! Der ist immer noch heftig, besonders die Neuverfilmung«. Ein zustimmendes Kopfnicken ging durch die Männerrunde.

photo credit: Hammonton Photography via photopin cc


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