verfaulendes Obst

Fruchtfliegen würden mein Obst liken

Mittwoch, 23.09.20. In meiner Küche finden neuerdings epische Kämpfe zwischen vielen kleinen Davids und einem Goliath statt, denn Fruchtfliegen lieben meine Küche – seit kurzem, jenen Ort süßlicher Verheißung. Also den Ort, den ich einst als »Ort der Verwesung« bezeichnet habe. An diesem Ort findet sich ungesunderweise kaum Obst und das Wenige, also kaum Vorhandene, vegetiert vor sich hin. Vielleicht ist es das, was die Fruchtfliegen verrückt macht.

Um wieder auf meine ursprüngliche Geschichte zurückzukommen: In dieser David gegen Goliath Erzählung bin ich der Goliath. Und im Gegensatz zur Bibel gewinne ich. Das ist unfair, aber so ist das Leben. Immerhin fühle ich mich dabei nicht als Gewinner, sondern ende als jemand mit schlechtem Gewissen, was sich auf mein Verhalten jedoch kaum auswirkt. Wie gesagt, so ist das Leben.

Anfangs benutzte ich, ohne viel nachzudenken, meine flache Hand. Um Herr der Fliegen zu werden (alles andere erwies sich als uneffektiv). Da der Nachschub wesentlich größer war als meine Hand, kam ich kaum nach. Und mit jedem Nachschub, es waren viele, bekam ich mit jedem Handschlag ein immer schlechteres Gewissen. So viele dieser kleinen, doch nervigen Lebewesen klebten blutig in meiner Handinnenfläche, dass mich diese brutale Art, sie vom Leben ausscheiden zu lassen, anzuwidern begann.

Da ich kein Massenmörder im Kleinen sein wollte, suchte ich mir einen sauberen Weg zur Beseitigung und stieg auf den Staubsauger um. Der Staubsauger stellte sich schnell als erstaunlich effektiv heraus. Das Ding saugt die kleinen Früchtchen aus deren Flugbahn direkt ins Verderben. Diese ungewollte und elegant wirkende Kurve, die sie dabei unfreiwillig nehmen mussten, erinnerte mich an ein schwarzes Loch. Daher fand ich das auch bis vor kurzem faszinierend, weil ich dem Ganzen eine gewisse Ästhetik abgewinnen konnte, denn dieser Form der Tötung fehlt das brutale Element.

Aber dann, mit dem Wiederholen des Saugvorgangs, kam mir allmählich der Gedanke, ob ich nicht noch brutaler als zuvor sei. Denn den armen Früchten werden in den Staubsaugerbeutel gequetscht und verenden dort – vielleicht qualvoll…? Also bin ich nicht nur weiterhin ein Massenmörder im Kleinen, sondern habe mein Repertoire aus Feigheit um ein ungewolltes, sadistisches Element erweitert. Bravo!

Und während ich mir ein schlechtes Gewissen einbilde, sehe ich, wie wieder eine Horde exzessiver Fruchtfliegen wilde Partys mit meinem bis eben noch unverdorbenem Obst feiert. Und plötzlich sind all diese Gedanken vor Wut weggedrängt und warten wieder auf ihre ruhige Minute, in dem sie hervorkriechen können. Toll, somit hilft dieses Gewissen weder mir noch den Fruchtfliegen.

Übrigens habe ich vergeblich versucht, sie aus dem offenen Küchenfenster hinaus zu scheuchen. Blöde Idee. Es kamen noch mehr hinein. Oder ich habe versucht, mein Obst abzudecken. Keine Chance. Die Fruchtfliegen finde Wege zum Obst, die für uns Menschen unergründlich sind. Naja, das stimmt nun auch nicht, denn weit von der poetischen Fiktion sagt im realen Leben die Biologie (eigentlich Google), dass die meisten Fruchtfliegen mit dem Obst selbst in die Küche eingeschleppt werden. Ihre Eier oder sogar Larven befinden sich bereits im Obst. Also bleiben sie ungebetene Gäste, die ich irgendwie loswerden muss oder ich warte ab – wie so ein Loser. Dann kommt die kalte Jahreszeit zu Hilfe.