Irgendwoher hatte der Typ aufgeschnappt, dass ich Ahnung von Frauen hatte und von Romantik – vermutlich bedingte das Eine das andere. Entweder verbreitete jemand gemeine Gerüchte über mich oder der Typ musste wirklich verzweifelt gewesen sein.
Das war damals, also zur guten, alten Zeit, als unsere Telefone nicht smarter als wir waren und das Internet nur in Form eines mechanisch kreischenden Modems konnektierbar war.
Also damals hatte der verzweifelte Typ ohne Facebook und WhatsApp mitbekommen, dass seine neue Flamme Anke voll auf Romantik stand. Vielleicht brauchte man nicht wirklich das Internet, um diese Banalität herauszufinden. Die Bedeutung von Romantik jedoch konnte er nicht googeln und in keinem Wikipedia Artikel nachlesen. Die Sendung mit der Maus beschäftigte sich auch nur mit anderen Themen, daher blieb ich als Informationsquelle übrig. Ja, schon damals nahm die eigene Realitätsblase bizarre Formen an.
»Das ist doch schon romantisch, wenn du dir deinen Kopf wegen ihr zerbrichst und versuchst, bei eurem Date etwas Besonderes zu machen.«
Er schaute mich ratlos an. Ich zuckte mit den Schultern. Eigentlich hatte ich keine Lust, ihm erfolgsversprechende Tipps zu geben. »Es geht ums Gefühl bei dir und dass du bei ihr auslöst und nicht unbedingt um das, was du tust.«
Sein Gesicht weitete sich und zog seine Augen weit auseinander, als wollte es ein riesengroßes Fragezeichen formen.
»Also«, sagte ich, »was wollt ihr machen und wo wollt ihr euch treffen?«
»Bei mir.«
»Oh.« Meine Unterlippe presste mein Gesicht nach oben und mein Kopf zog sich ein wenig zurück. »Gleich bei eurem ersten Date?«
»Ja.«
Das überraschte mich. Wie hatte er das hinbekommen? Ich meine, ich war eindeutig klüger als er und – objektiv gesehen – sah ich auch besser aus. Nur die dumme Anke schien das nicht begreifen zu wollen und gab sich mit dem Typen ab, von dem ich gar nicht mehr wusste, woher wir uns kannten. Daher hätte ich ihm gerne einen Ratschlag oder irgendeinen Schlag gegeben – galten Kopfnüsse nicht im weitesten Sinne als Denkanstöße?
»Ok.« Nichts war ok. Ich leierte eine imaginierte Liste lustlos herunter.
»Räum die Wohnung auf.«
Er nickte.
»Vergiss das Badezimmer nicht.«
Er nickte.
»Kauf Kerzen.«
Er nickte.
»Viele Kerzen, wegen der Stimmung.«
»Und kauf Blumen!«
Er nickte.
»Die Wohnung muss nach frischen Blumen duften.«
Er nickte.
»Kannst du kochen?«
Er nickte.
»Dann koch etwas!«
Er nickte. Konnte er wirklich kochen?
»Kauf Wein passend zum Essen.«
Er nickte.
»Vergiss die Musik nicht.«
Er nickte.
»Sei ein Gentleman! Öffne ihr die Tür, mach ihr ein Kompliment – mach ihr viele Komplimente! Hilf ihr aus dem Mantel, rück ihren Stuhl an den Tisch, setzt dich nach ihr hin.«
Er nickte.
»Und halt die Klappe. Rede nicht von dir, sondern hör ihr zu.«
Er nickte.
Ich spulte alle Klischees ab, die ich je über Romantik gehört hatte und an die ich mich in jenem Moment erinnerte.
»Und«, sagte ich, während ich eine kunstvolle Pause machte und er gebannt schaute, »frische Bettwäsche!«
Er nickte.
Ein paar Tage später…
Anke kam mit strahlenden Augen auf mich zu. Ich traf sie zufällig in der Bielefelder-Innenstadt. »Du kennst doch Giovanni?«
Ach so hieß der Kerl. Ich erinnerte mich an ihn. Giovanni war der Frauenschwarm, der jede erobern konnte, ein Latin Lover. Wir Jungs hassten ihn alle, weil wir neidisch auf ihn waren. Trotz seines offenkundig einfachen Gemüts (Euphemismus für dumm), hatte er etwas an sich, dass die Frauen magisch anzog, wie ein Misthaufen Fliegen. Das stank uns. Und doch suchten wir auch seine Nähe auf, um im Dunstkreis dieses besonderen Œuvres einen eigenen Stich zu landen.
»…so romantisch!«
»Was?!« Dieses Wort zog mich aus meiner Gedankenblase.
Anke brabbelte mich die ganze Zeit voll, so wie eine Frau, die ihr Glück kaum fassen konnte und in die Welt hinaustragen musste, um es zu bestätigen. Warum suchten mich diese Menschen immer auf? Irgendwer da oben schien sich über mich lustig machen zu wollen.
»Er hatte extra für mich Kerzen gekauft und Blumen!« Ja, weil ich ihm das gesagt hatte.
»Das hatte er nie zuvor bei einer anderen gemacht.« Aha, sollte das dir nicht eher zu denken geben?
»Er war so zuvorkommend, aufmerksam, ein vollendeter Gentleman.« Darum seid ihr auch am Ende im Bett gelandet. Irgendwie gefiel mir dieses Gespräch ganz und gar nicht. Der Arsch hatte sich tatsächlich alles gemerkt, was ich ihm gesagt hatte.
»Woher weißt du, dass er das Ganze nicht gemacht hat, um dich ins Bett zu bekommen.«
Abrupt verschwand der gesamte Feenglitzer aus ihrem Gesicht. Da war ich wohl ein wenig unsensibel.
»Ich meine, woher weißt du, dass er nicht einfach Dinge gemacht hat, weil er wusste, damit Erfolg zu haben?«
Auf ihre Stirn zogen sich die Falten zu einem Gewitter zusammen.
»Ich meine, eine Imitation von Etwas statt dem Ausleben von etwas Echtem…?«
Sie hob ihr Kinn und schmetterte mir ein: »Wenn er das gemacht hat, weil er es für romantisch hält, dann hat er sich wegen mir Mühe gegeben. Punkt. Du hast keine Ahnung von Romantik.« Sie drehte sich auf ihrem Absatz und ging fast schon dramatisch davon.
Ihre Logik war unwiderlegbar. Egal, wie man es drehte oder wendete, am Ende blieb er der gefühlvolle Mann, den sie haben wollte.
Nicht der, der die Illusion schafft, sondern der, der sie versucht zu stören, ist ein Arsch. Danke für die Lektion.
Weitere Tage später auf einer Party…
Aus irgendeinem Grund begegnete ich in diesen wenigen Tagen immer wieder einen von beiden. Was wollte mir das Universum sagen? Hatte ich nicht genug gelernt? Nein. Im Grunde wusste ich nichts.
»Hhheeeeeey!« Mit einem gedehnten »h« und längerem »e«, das so etwas wie Vertrautheit simulieren sollte, begrüßte mich Giovanni auf der Uni-Party. Er kannte vermutlich meinen Namen nicht. Also kein Grund, ihn mit seinem Namen zu begrüßen.
»Na.«
»Tolle Tipps. War eine voller Erfolg, danke Mann!«
Doch bevor ich etwas sagen oder fragen konnte, huschte er an meine Seite, so dass ich das Eis in seinem Plastikbecher klirren hören konnte und flüsterte mir in konspirativem Ton: »Du bist doch Student? Siehst du die Kleine dort?«
Er zeigte auf eine blonde Frau mit Pagenschnitt in weit ausgeschnittener Bluse. Unglaublich süß. »Ich hatte noch keine Studentin.« Ähm, ich bisher auch nicht, denn ich war noch auf dem Gymnasium. Aber spielte das eine Rolle… Sie schaute in unsere Richtung. »Ich brauche wieder ein paar Tipps von dir.«
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