Weiblicher Mikrokosmos oder gib mir ein Zeichen

Wenn ich mit meiner sehr guten Freundin Bella unterwegs bin, begebe ich mich in eine abenteuerliche Entdeckungsreise durch einen subtilen Mikrokosmos vager Andeutungen und Unverbindlichkeiten, in denen wir Männer ständig leben aber kaum etwas miterleben und meistens keinen Zugang haben – es ist die bunte Welt der Frauen. Du weißt nie, wann du Teil dieser Welt wirst und plötzlich bist du mittendrin. So auch heute beim Essen.

Eine südländische Bedienung, aufgehellt durch die Sonne, ging von Tisch zu Tisch und räume das Geschirr der Gäste weg. Ihre Augen funkelten in ihrem Gesicht, blickten niemanden direkt an. Sie packte das Geschirr auf ihre Arme und ging selbstbewusst die Gänge entlang zwischen den Tischen in die Küche, die sich direkt vor uns befand.

Ich folgte ihr ein paar Mal mit meinen Blicken. Auch Bella bemerkte sie und zwinkerte mir zu.
»Sie hat kein einziges Mal rübergeschaut«, sagte ich.
Sie zog ihre Schultern mit freundlicher Milde hoch.

Die Tür der Küche ging auf, und wir beide schauten zu ihr hinüber. Da kam Jimmy, sah unsere Blicke und ein verschmilztes Lächeln, drehte sich um und verstand sofort. Jetzt durfte die südländische Schönheit uns bemerkt haben. Was dachte sie wohl. Wären wir nur zwei Männer, dann wäre der Grund offensichtlich, doch wir hatten eine Frau unter uns und zwei Kinder um uns. Sie konnte nicht wissen, wer zu wem gehörte. Vielleicht schaute sie deswegen nicht. Vielleicht war es ihr auch egal. Aber irgendwann war auch unser Essen fertiggegessen, und sie musste es wegräumen.

Wir stapelten die Teller von vier Hauptgängen, fünf Beilagen, zwei Nachtischen und hinzukamen noch die Gläser. Sie ließ sich Zeit und kam an unseren Tisch. Legte routiniert Teller für Teller auf ihren Arm, während ihre gewundenen Locken ihre Schultern zierten, und als wir dachten, mehr geht nicht, nahm sie den Rest. Die überraschten Kleinen reden gleich unbefangen los und erhielten wohlwollende Antworten. Sie balancierte all unser Geschirr sicher in die Küche. Einen Moment später kam sie aus der Küche heraus.

»Sie hat sich die Lippen geschminkt«, sagte Bella. Verstand ich nicht. Konzentriert sah ich auf ihren Mund. Da ich mein Opernglas nicht dabei hatte, erkannte ich keinen Unterschied. Bella musste sie genauer angeschaut haben als sie an unserem Tisch war.

»Und was heißt das?«
»Keine Ahhhnung.« Das »H« zog sie unschuldig in die Länge, lies es in der Luft zappeln und wieder gingen ihre Schultern hoch.
»Hat das jetzt eine Bedeutung?« Allmählich wurde ich ungeduldig.
»Viiiiiie-leicht.« Diesmal musste das „I“ daran glauben. Jetzt zog sie ihre Augenbrauen hoch.
»Und welche?« Ich wurde ungeduldig.
»Frag sie doch.«

Bella konnte schon gemein sein. Ihr fiel ein Detail auf, das viel bis gar nichts bedeuten konnte – vielleicht viel in der Welt der Frauen, aber gar nichts in der Welt der Männer. Ein Detail, das am Ende bei mir mehr Fragen offen ließ als es Antworten gab. Ich schüttelte den Kopf. Frauen sind wie verschnörkelte, filigrane Linien mit Extraschleifen, deren Knoten für uns unlösbar bleiben. Wir Männer hingegen gleichen einer einfachen, geraden Linie. Daher brauchen wir Männer einfach nur ein eindeutiges Zeichen.

photo credit: kinojam via photopin cc


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