In der weiblichen Endlosschleife


Hilda! Klein. Dunkelblond. Wahnsinnig süß. Nicht dünn, aber auch nicht dick. Ich erinnere mich nicht, sie lächeln gesehen zu haben. Einmal vielleicht. Vielleicht lag das an ihren kleinen Zähnen, die ihr selbst nicht gefielen. Oder vielleicht lag es auch an mir. Vielleicht wollte sie genau das ausdrücken als sie mir ihre Telefonnummer gab und meinte, ich solle sie anrufen, wenn ich das nächste Mal ins Cafe Europa ginge. Oder wie soll ich sonst ihre Reaktion auf meinen Anruf bewerten? Vielleicht hätte ich es wissen müssen, als sie auf meine Nachrichten nicht reagierte. Ich rief sie dennoch an.

Das Telefon klingelte.
Einmal.
Zweimal.
Noch einmal.
Dann wieder.

Aha, dachte ich mir, sie wird nicht drangehen. Und dann ein „Hallo!“ Das klang wütend und gar nicht nach ihr.

Es war eine Männerstimme.

„Hallo“, sagte ich etwas zaghaft, und es war mehr ein großes Fragezeichen als eine Begrüßung. Mein Kopf begann plötzlich einen Gedanken nach dem anderen abzufeuern. Hatte sie mir die falsche Nummer gegeben? Hatte ich einem Typen Nachrichten gesendet? Und was waren das nochmals für Nachrichten? Denk nach! Während ich mich zu erinnern versuchte, unterbrach mich die Stimme.

„Was willst du!“

„Ich will Hilda sprechen.“

„Ich bin ihr Freund. Hilda will nichts von dir!“

Bevor ich den einen Gedanken zu Ende denken konnte, wurde ich mit einem Neuen überrascht. Gerade noch so konnte ich ein dumm klingendes „äh“ unterdrücken. In meinem Kopf begannen sich die Gedanken zu überschlagen und mich abzuhängen. Mein Mund wartete geöffnet auf einen Satz oder nur ein Wort, den es sprechen und ihm entgegensetzten konnte. Doch nichts Gescheites fiel mir ein. Ich fühlte mich überrumpelt und irgendwie – verarscht!

„Ja, danke für die Info“, schloss ich endlich ab.

„Bitte.“

„Tschüss.“

Ich starrte mein Handy noch eine Weile fragend an, als ob ich Antworten von ihm bekommen würde. Woher kam der denn her? Hatte sie ihren Freund bereits als sie mir ihre Nummer gab oder waren sie erst seit kurzem zusammen? Mein Mund fühlte sich jetzt trocken an. Das war eine unerwartete Wendung. Und – sie sollte nicht die letzte an diesem Abend sein!

Die Uhrzeit tauchte klar auf meinem Handydisplay auf. Ich musste los.

Im Cafe Europa war es wie immer: voll und laut. Die Musik bebte durch meinen Körper und schüttelte auch den letzten Gedanken aus meinem Kopf. Mein Blick tanzte um unbekannte Köpfe herum. Der Abend schien gut zu werden. Ich tauchte in die Menge ein, und Gesichter blitzen mit dem Discolicht vor mir auf als plötzlich mein Blick an einem bekannten Gesicht hängen blieb. Hilda!

Was will sie hier? Bevor ich mich zu ärgern begann, sagte ich mir „bleib cool“ und hielt Ausschau nach ihrem Freund. Sie war im Schlepptau von Clarissa, ihrer besten Freundin. Ignoriere sie!, befahl ich mir, während sich meine Beine direkt auf sie zu bewegten. Na gut, murmelte ich weiter vor mich hin, dann sprich sie wenigstens nicht an!

„Du!“, warf ich ihr vor. Ein paar Köpfe drehten sich zu mir um. Sie sah mich. In einem kurzen Moment flackerte eine unmögliche Mischung aus Verwunderung und Einschüchterung in ihrem Gesicht auf. Dabei wusste sie doch, dass ich hier war.

„Ich wollte mich bei dir bedanken!“

Wieder leuchtete es auf. Jetzt schaute sie überrascht und irritiert. Sie blieb stehen und wartete, während sich Clarissa weiter in Richtung Bar entfernte. Ich sagte nichts mehr. Stand einfach nur cool da und warf von der Kulisse aus einen gelangweilten Blick auf die Tanzfläche. Zufrieden nippte ich an meinem Weißbier. Mein Weizenglas war voll genug, um mich hier lange aufzuhalten. Ich konnte aus den Augenwinkeln sehen, wie sie einen Schritt auf mich zukam. Sie blieb vor mir stehen, so dass das unruhige Licht einen tiefen Schatten auf ihr Gesicht warf. Als ich mich immer noch nicht regte, beugte sie sich leicht zu mir vor.

„Warum?“

Sie sprach es leise aus. Die Musik war laut und sie kaum zu hören, dennoch verstand ich ihre Frage ganz genau.

„Ich wusste gar nicht“, begann ich etwas beleidigt, „dass ich mich für dich interessiere und hinter Dir her sei.“ Ich machte eine kunstvolle Pause. „Danke, dass Du mir das klar gemacht hast!“ Ich kostete jedes Wort einzeln aus. Mensch, konnte ich nett sein! Zufrieden nahm ich einen Schluck Bier. „Ich war so naiv und dachte, ich rufe dich wegen Cafe an, weil du das so wolltest. Ich wollte nur nett sein.“ Jetzt drehte ich meinen Kopf zu ihr und schaute in ihre Augen. Was für Augen sie hatte! Hell und klar. Das Licht flackerte darin. Mein Blick wanderte herunter zu ihrem Mund. Ich konnte trotz der aufeinander gepressten Lippen erkennen, wie schön sie geschwungen waren.

Sie schwieg. Sie trug wieder eine schwarze Bluse mit großem Ausschnitt und eine enge Jeans, in denen ihr Hintern und Beine knackig aussahen. Sie hatte nicht diese dünnen Beine, bei dem ich immer die Angst habe, dass die Dame bei dem geringsten Windstoß wegzuknicken drohe. Ich verstand nie die Frauen, die immer dünner werden wollten. Wenn die Proportionen nicht stimmten, wen interessierte dann ihre Konfektionsgröße oder Gewicht? Mir fiel ihre lange Kette auf, die mit bunten, kleinen Perlen verschiedener Farben bestückt war und bis zu ihrem Bauch reichte. Dazu trug sie einen breiten, beigefarbigen Gürtel.

„Mein Ex-Freund“, presste sie die Worte heraus und mein Kopf schoss nach oben, „hat sich letzte Woche bei mir wieder gemeldet. Wir werden wieder zusammen kommen.“

„Na und! Trotzdem kannst du ans Telefon gehen und nicht dein Freund! Ich fand das sehr unfreundlich.“ Ich blickte wieder auf die Tanzfläche. Die Menge löste sich wie meine Leichtigkeit und Coolness allmählich auf. Die gute Musik wich der Mittelmäßigen, denn die hob sich der DJ für später auf. Mit ihr zu reden war doch keine gute Idee.

„Das war nicht mein Freund.“
„Was?“
„Das – am – Telefon – war – nicht – mein – Freund“, wiederholte sie jedes Wort einzeln. Ich hatte sie richtig verstanden. Nur war ich jetzt wieder dran mit dem Erstaunt- und Verwirrtsein. Ich blickte sie sprachlos an. Sie merkte, dass ich nichts weiter sagen würde. Was sollte ich denn noch sagen?

„Das war nur ein guter Freund.“ Das machte die Sache für mich auch nicht besser. Ich schaute sie immer noch an. Sie hatte ihre Augenbrauen etwas zusammen und ein Stück nach oben gezogen, so dass sich ein paar Falten in ihre Stirn schoben. Ihre Hand lag auf ihrem Dekolleté, schien ihre Kette gegen sich zu drücken. Wow, dachte ich mir, sie sieht verdammt toll aus! Sie hatte ja gesagt, dass sie noch nicht mit ihrem Ex-Freund zusammen sei! Sofort versuchte ich, diese undankbaren Gedanken wieder zu verscheuchen. Währenddessen wartete sie vergeblich auf irgendeine Reaktion von mir.

„Es tut mir leid.“ Es klang leicht resigniert als sie ihren Kopf ein wenig zur Seite neigte. Sie blickte nach unten ins Leere. Ihre Hand hielt sich an der Halskette fest. Begann etwas damit zu spielen.

„Ist ok“, sagte ich. Ich hatte keine Lust mehr auf dieses Gespräch. Weiter abwärts konnte es für mich nicht mehr gehen – nahm ich an. Aber das hatte ich bereits viel früher gedacht. Meine Beine fühlten sich schwer und kraftlos an. Der klebrige Boden schien mich festzuhalten. Wir kamen beide nicht weg. Standen beieinander ohne zueinander zu gehören. Dann tauchte Clarissa wieder auf.

Sie schlängelte sich zielstrebig von der Theke in unsere Richtung, während sie etwas in beiden Händen sorgfältig balancierte. Es waren zwei Getränke. Etwas Alkoholisches für sie selbst und ein Glas Wasser mit Kohlensäure für Hilda, an dessen Rand eine Zitronenscheibe aufgeschnitten herabhing.

Nachdem sie Hilda das Getränk gereicht hatte, begrüßte sie mich mit einem Wangenkuss. „Du bist so süß“, flüsterte sie mir ins Ohr. Bevor ich etwas sagen konnte, kehrte sie um, tauschte amüsiert ein paar Worte mit Hilda aus und verschwand wieder. Jetzt standen wir beide mit Getränken in der Hand. Ich konnte die kleinen Bläschen in ihrem Glas aufsteigen und an der Oberfläche zerplatzen sehen. Irgendwie stieß mir das alles sauer auf.

Da stand ich nun und hatte keinen Schimmer, was ich tun sollte. Weggehen? Nein, dann hätte ich sie ja alleine dagelassen. Warum ging sie nicht einfach weg? Konnte sie nicht weg, weil Clarissa etwas vorhatte? Also standen wir beide wie bestellt und nicht abgeholt da. Ich nippte an meinem Bier. Nahm kleine Schlücke, da ich nicht wusste, wie lange das hier gehen würde. So konnte ich mich mit etwas beschäftigen. Oder sollte ich schnell austrinken, um dann zur Bar zu flüchten? Oder – bin ich einfach nur völlig bescheuert!

Ich zerbreche mir hier den Kopf für jemanden, dem ich völlig am Arsch vorbeigehe. Ich gehe jetzt! Also drehte ich mich zu ihr hin, um ihr ein verachtendes „Tschüss“ zuzuwerfen.

„Du siehst heute echt toll aus!“, hörte ich mich plötzlich sagen und betonte das „echt“ übertrieben stark als käme es aus meinem tiefsten Inneren heraus, so dass niemand an dessen Wahrheitsgehalt zweifeln durfte.

„Danke“. Es kam etwas – zögerlich.

Glaubte sie mir nicht oder zierte sie sich ein wenig? Dass sie kein Interesse an mir haben könnte oder sie sich hier unwohl fühlte, kam mir niemals in den Sinn. Ich musste sie von der Aufrichtigkeit meiner Komplimente überzeugen! Also legte ich einen drauf. „Hast du abgenommen?“, fragte ich sie. Nein, auch das sei nicht der Fall, aber das hätten auch andere sie gefragt. „Siehste, ich sage die Wahrheit!“

Ich war zufrieden. Nahm einen kräftigen Schluck aus dem Weizenglas und sah aus meinem Augenwinkel, wie sie ein wenig näher rückte. Natürlich schrieb ich mir das zu. Ich bemerkte nicht, dass andere Jungs uns beobachteten, um bei der kleinsten Gelegenheit ihre Chance zu ergreifen.

Jetzt standen wir wieder nur herum. Keiner sagte etwas. Ich wusste auch nicht mehr, was ich ihr noch hätte sagen sollen. Es war mir auch egal. Ich lächelte und war noch immer damit beschäftigt, mich selbst für die letzte Aktion zu bewundern. Mein Blick wanderte wieder unbestimmt über die Köpfe bis ich jemanden mich anlächeln sah. Sie kam auf mich zu.

Katrina! Pechschwarze Haare. Eine perfekt geformte und leicht zickige Nase. Hochrote Wangen. Und unanständig! Immer wenn wir uns unterhielten, schwang bei ihr immer etwas Unanständiges mit, das nicht eindeutig greifbar war. Sie drängte sich zwischen Hilda und mir. Umarmung, Kuss, schön dich zu sehen.

„Mit wem bist du hier?“, fragte ich sie. Sie war so nah, dass sich unsere Wangen berührten. Sie waren heiß, als würde sie verglühen.
„Mit Muck“, sagte sie.
„Was!“ Abrupt zog ich meinen Kopf weg und schaute sie direkt an. „Was-willst-du-von-dem-Looser!“
„Ich wollte nicht alleine herumstehen“, zwinkerte sie mir zu. Außerdem sei er viel zu jung für sie. Sie drückte wieder ihre Wange an meine. „Was läuft denn mit dir und Diana?“
„Gar nichts“, sagte ich. Plötzlich umfassen zwei Hände meine Hüften und ziehen mich weg.

Als ich mich umdrehte, sah ich – Hilda! Hatte sie völlig vergessen! Ich schaute sie mit offenem Mund an, aus dem nicht mal ein „äh“ herausplumste. Sie legte ihre Arme um mich, stellte sich leicht auf ihre Zehenspitzen und drückte ihre Wange gegen meine. „Ich muss jetzt gehen“, sagte sie. „Meld dich doch nochmal bei mir.“

„Ja“, zögerte ich, um dann ein schwungvolles „mache ich gerne“ folgen zu lassen. Während ich diese Worte aussprach, wühlten meine Gedanken bereits irgendwo in meinem Kopf nicht nach Antworten herum, sondern nach den richtigen Fragen. Ich verstand nichts. Aber, was verstand ich nicht? Eine kleine Faust boxte mich aus dem Gedankenchaos.

„Hey“, sagte Katrina, „ich gehe jetzt zu Muck.“

Nun stand ich alleine da. Mitten in der Menge im Abseits. Mit nur einem Schluck lauwarmen Bier.

Am nächsten Tag. Das Telefon klingelte.
Einmal.
Zweimal.
Noch einmal.
Dann wieder.

photo credit: -RobW- via photopin cc


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