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After Go-Live no Party oder Wie ich mich selbst arbeitslos machte

Montag, 11.02.19. Bielefeld.

Gestern beendete ich meinen Artikel mit dem Satz: »Morgen ist Montag und ich freue mich auf meine Arbeit beim Kunden.« Und heute war dieser Morgen. Und so, wie es immer mit Erwartungen ist, kam sie mit umgekehrtem Vorzeichen.

Wir gingen am Anfang diesen Monats mit unserem Kunden-Release produktiv. Direkt in der ersten und kritischsten Hypercare-Woche, also die Zeit, in der die Software wie ein Neugeborenes unter intensiver Beobachtung steht, drückte ich die Trainingsbank in Walldorf auf der SAP Cloud Platform Schulung (hier zu lesen).

Daher hoffte ich heute auf viel bzw. genug Arbeit. Ich fand auch eine lange Liste von Bugs in meinem Posteingang. Diese gingen jedoch an alle in der betreffenden Gruppe. Lediglich ein EINZIGER Bug (auch Incident genannt) war mir zugewiesen! Wie enttäuschend.

No Party. Eigentlich sollte das ein Grund zur Freude sein. Spricht für mich und meine Arbeit, gäbe es nicht diese beiden kleinen Punkte, die ein wenig ungünstig in dieser Phase für einen Berater sind.

Zum einen habe ich mehrere Tage Budget für die Hypercare-Phase, den ich nicht nutzen kann. Zum anderen neigen Projekte zu Jahresanfang zu einer rapiden Entschleunigung, die man teilweise als Vollbremsung bezeichnen kann.

Auf den Go-Live, also dem Höhepunkt, folgt quasi die Entspannung – Männer wissen, wovon ich spreche.

Auf der Jagd nach dem nächsten Budget. Was für die eigenen Mitarbeiter entspannend wirken kann, sorgt auf Beraterseite zu nervösen Aktivitäten auf anderer Ebene. Mit dem Ende des Projekts ist auch das Budget weg. Also muss der Berater zusehen, ob und wann und in welcher Höhe er wieder zu einem Budget kommt.

Die Klärung dieses Dreiklangs Ob-Wann-Höhe beansprucht auch noch Zeit für sich. Dauert diese Klärung oder der Start des nächsten Projekts absehbar lange, wird gemeinsam mit dem Kunden ein Zwischenprojekt gesucht, das bis zum Start des nächsten bzw. eigentlichen Projekts reicht.

Sollte ein Berater zu lange »herumsitzen«, d.h. ohne zu fakturieren, werden höhere Ebenen aufmerksam und dem Kunden droht, den eingearbeiteten Berater – und vielleicht auch liebgewonnen – an einen anderen Kunden in einem anderen Projekt zu verlieren.

Bestrafung statt Belohnung. Seltsam oder? Es klingt so, dass du, wenn du zu gut bist, dich selbst »arbeitslos« machst. Das habe ich tatsächlich in anderen Kundenprojekten erlebt, als ich neu anfing.

In einem Projekt, das mir noch gut in Erinnerung geblieben ist, bekam ich eine stumpfe aber aufwendige Programmieraufgabe, die ich durch einen generischen Algorithmus mit einem Schlag in so kurzer Zeit löste, dass noch viel Budget übrigblieb.

Der Projektleiter freute sich und schickte mich zum Dank nach Hause, denn ich hatte nichts mehr zu tun. Nur zum Mitschreiben: Ein Projektleiter bekommt einen Mitarbeiter, der die Zeit- und Budgetvorgabe massiv unterschreitet. Doch statt ihn weitere Aufgaben zu geben, schickt er ihn nach Hause.

Aber das war noch nicht alles.

»Mein« Restbudget wurde zur Freude einem anderen Kollegen zugeteilt, weil der mehr Zeit benötigte (weil er einfach der Aufgabe nicht gewachsen war).

Ich hörte, dass er seine Umsatzziele erreichte. Ich jedoch stand nach wenigen Tagen zu der Überraschung meines damaligen Vorgesetzten wieder in seinem Büro. In jenem Jahr erreichte ich mein Umsatzziel nicht. Das Schnellsein hatte nämlich noch einen weiteren, additiven Nachteil: die Wartezeiten bis zu den nächsten Projekten. Je mehr Projekte ich hatte, desto höher summierten sich die Zeiten zwischen den Projekten – und ich hatte viele Projekte.

Korrekturen. Diese anfänglichen Probleme löste mein Vorgesetzter, indem er mich zu Projekten mit Projektleitern schickte, die mein Können zu schätzen und einzusetzen wussten. Ich bekam mit der Zeit immer bessere und anspruchsvollere Themen, was mir wiederum bei meinem Know-how half.

Also entspannt abwarten, denn hektische Tage wird es immer genug geben.


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