Schulz & Böhmermann: Wie man einen bekannten Hochstapler entlarvt

Gleich in der Vorstellungsrunde fällt Gert Postel mit seiner patzigen Antwort auf. Er meint, Jan Böhmermann korrigieren zu müssen, weil dieser »ein komplexes Geschehen« zu sehr reduziere. Bereits hier gab er seinen beschönigenden Ton für die Sendung an, in dem er immer wieder das gleiche anklingen ließ und sich ins Abseits schoss: die nicht genügende Würdigung seines Betruges. Postel schaffte es ohne Abschlüsse und nur durch Betrug zum leitenden Oberarzt einer Psychiatrie. Interessant fand ich, wie Böhmermann ihn als jemanden entlarvte, der sich selbst täuschte.

Die Gastgeber

Grelles Licht leuchtet wie ein Heiligenschein über den Köpfen der Talkrunde und lässt wie eine Lampe beim Verhör jede Regung auf den Gesichtern erkennen. Sechs Menschen sitzen an einem runden Tisch als würden sie gleich pokern. Böhmermann beginnt und drückt sich wieder ein Auge zu.

Böhmermann redet, aber nicht viel und wenn, dann scharfsinnig und spitzfindig. Er gefiel mir besonders gut im Umgang mit Gert Postel. Sein Counterpart Schulz stellte interessante Fragen und man merkte, dass er sich gut vorbereitet hatte. Er hatte auch den größeren Redeanteil des Duos. Beide harmonierten miteinander. Die Gäste wurden durch Portraits von Sibylle Berg vorgestellt, die geistreich und für ihre Verhältnisse schon fast zu freundlich waren.

Die Gäste

Als Gäste waren Felix »Kollegah« Blume, Jörg Kachelmann, Anika Decker und Gert Postel anwesend. Kollegah überraschte mich mit seinem smarten Auftritt. Hingegen wirkte Kachelmann wie jemand, der eine Glückspille geschluckt hatte. Seine Gelassenheit schien zu gewollt und was er sagte, fand ich absehbar. Anika Decker empfand ich als angenehm und zurückhaltend. Sie spielte leider kaum eine Rolle. Aber dafür fiel Gert Postel mir besonders auf.

Der viel zu hohe Hochstapler

Gert Postel ist gelernter Postbote und hatte lediglich einen Hauptschulabschluss. Trotzdem schaffte er es bis zum leitenden Oberarzt in einer Psychiatrie. Das waren seine Angaben.

Er versuchte in der Diskussion die Deutungshoheit über sich und sein »Schaffen« zu behalten. Und immer wieder, wenn Böhmermann ihn zu Recht darauf hinwies, er sei kein Arzt, kein Psychiater und nur ein verurteilter Krimineller, relativierte oder negierte er diese Worte, da sie zu einfach seien und ihn reduzieren würden. Es schien als könne niemand in dieser Runde seine Genialität erfassen. Und doch verkannte er selbst, wie gewieft der Böhmermann mit seinen klugen Fragen und Anmerkungen vorging.

Mit Empathie zum Erfolg

Auf die Frage von Schulz, wie er es geschafft hätte, ging er nicht ein und attestierte ihm, nicht empathisch genug zu sein, um wie er seinen Beruf ausüben zu können. Er selbst sei es und vermutlich liegt darin der Schlüssel zu seinem Erfolg. Ich vermute, die Antwort auf die Frage, wie er alle Experten an der Nase herumführen konnte, muss so banal gewesen sein, dass er sie nicht beantworten wollte. Aber alleine durch Empathie war sie nicht zu bewerkstelligen.

Der Ursprung Postels Empathie

Die Frage, woher seine Empathie herrührte, beschäftigte mich. Die Frage nach der Empathie ist keine einfache. Teilweise ist sie genetisch bedingt und teilweise hängt sie vom sozialen Umfeld ab. Allerdings führte er dazu nichts aus. Daher kann ich hier nur spekulieren. Und als selbsternannter Haustürpsychologe kann ich das auch machen.

Ich konzentriere mich auf den sozialen Aspekt und interpretiere aus seinem Vorwurf gegenüber Schulz und seinem Gestus, die sein Auftreten die ganze Sendung hindurch bestimmte – er schien sich für empathischer und besser als alle anderen zu halten, da war es wieder, dieses Überlegenheitsgefühl –, dass die dominierenden Ursachen für seine bessere Sensibilität aus seiner Kindheit herrührten.

Sensible Menschen

Ich erinnerte mich, etwas über sensible Menschen bzw. Menschen, die sensibler waren als andere, gelesen zu haben. Es handelte von Kindern, die mit sehr großer Aufmerksamkeit jede Geste, jeden Ton, jede Mimik, jede Bewegung ihrer Eltern minutiös beobachteten, weil sie sich fürchteten. Ihre Sensibilität und manchmal auch Unsicherheit führte also dazu, dass sie Fähigkeiten entwickelten, um heraus zu finden, was im anderen vorging.

Der Tod der Mutter als Motivation

Über seine Kindheit erfuhr ich nichts. Nur einmal sprach er über seine Mutter, nachdem ihm Kollegah nach seiner Motivation fragte. Seine Mutter sei wegen einer Fehlbehandlung ihrer Depression verstorben. Das ist ein bitterer Schicksalsschlag und ein gefundenes Fressen für Psychoanalytiker. In wieweit das der Wahrheit entsprach, konnte ich nicht herausfinden. Auffällig fand ich, dass er die Schuld für den Tod seiner Mutter anderen gab, denn in dem gesamten Interview stellte er immer wieder Psychiater als inkompetent hin und suchte Gründe bei anderen.

Sein Antrieb sei gewesen, die Berufsgruppe der Psychiater als Scharlatane zu entblößen. Kurzerhand bewarb er sich als Arzt und später als Psychiater. Mit großem Erfolg schaffte er es zum Leitenden Oberarzt in einem Fachkrankenhaus für Psychiatrie.

Entlarvend und die Schuldfrage

Böhmermann warf hier fast nebenbei ein, dass Postel nicht als Chirurg hätte praktizieren können. Damit liegt er richtig, denn bei der ersten OP wäre er aufgeflogen. Aber in einem Fach, in dem viel geredet wird und interpretiert und keine alleinige Wahrheit gibt, fällt die Unfähigkeit nicht schnell oder gravierend auf, besonders für einen rhetorisch begabten Menschen wie Postel.

Mir stellen sich an dieser Stelle gleich mehrere Fragen: Wenn ein Mensch so extrem auf eine Situation reagiert und gegen eine Gruppe kämpft, die nach seinem Urteil Schuld am Tod seiner Mutter sei, in dem er sich zu einem von ihnen macht, warum tut er das? Fühlte er sich in der Situation machtlos und ausgeliefert? Fühlte er sich am Ende selbst für den Tod seiner Mutter mitverantwortlich? Wollte er durch das Schlüpfen in die Rolle des Psychiaters sich selbst die Schuld geben und damit gleichzeitig sich von der Schuld freisprechen? Denn hätte er bewiesen, dass diese Berufsgruppe unfähig ist, dann hätte er in der Rolle des Psychiaters scheitern müssen und damit sich als Sohn von der Schuld am Tod seiner Mutter befreit? Ist der Postel am Ende selbst ein Fall für die Psychiatrie?

Verantwortung oder Schuld weist er in der Talkrunde von sich. Schuld seien die anderen, weil sie zu doof waren, ihn als Hochstapler zu entlarven – er selbst bezeichnet sich nie als Betrüger. Auch hier hakte Böhmermann schnell ein. Nein, sagte Postel und ging noch weiter, denn er sei der einzig ehrliche Hochstapler unter den Psychiatern, denn er sei sich seiner Hochstapelei bewusst.

Die Verantwortung oder das Opfer als Täter

Erstaunlich, welches Bild er von sich gab. Dann griff Böhmermann wieder ein. Er stellte die Frage, ob er denn nicht durch seine Arbeit anderen Menschen geschadet hätte. Erwartungsgemäß vereinte Postel die Frage.

Die Frage Böhmermann muss man sich aber auf der Zunge zergehen lassen, die hat es in sich! Postel wird Psychiater, weil seine Mutter wegen Fehlbehandlung starb. Er als Psychiater, der auch Medikamente verschrieb, Gutachten aufsetzte, über Menschen und deren Schicksal bestimmte, kann meiner Ansicht nach diese Menschen nicht richtig behandelt haben. Er hat als Vergeltung für den Tod seiner Mutter anderen Menschen wissentlich geschadet oder es in Kauf genommen.

Hier nutzt er etwas für sich aus: In der psychiatrischen Behandlung ist es nicht so einfach, einen direkten Zusammenhang zwischen dem Behandeln und der Wirkung auf den Patienten herzustellen und das weiß er auch – zumindest unterstelle ich ihm auch das. Er schützte sich also vor dem Vorwurf mit einem Argument, welches er beim behandelnden Arzt seiner Mutter nicht gelten ließ.

Die Selbsttäuschung

Böhmermann merkt an, dass Postel die Psychiatrie nicht entlarvt hätte, sondern er durch Zufall aufgeflogen sei. Postel war zu der Zeit bereits zwei Jahre als Oberarzt in der Psychiatrie tätig und sollte weiter befördert werden. Auch hier versuchte Postel, sich zu rechtfertigen, dass er es vorgehabt hätte. Aber Böhmermann warf ihm vor, sich alles ihm Nachhinein schön zu reden und sich zu Recht zu legen. An Stellen wie diesen wird deutlich, wie gut der Böhmermann wirklich ist, denn er stellte den Spieß um und entlarvte den Postel als das, was er ist: Ein Täuscher, der weiter täuscht. Und dem vorsichtigen Zuschauer wird klar, dass er alle Ausführungen Postels in Frage stellen muss. Und die Frage, ob er sich nicht selbst täuscht, rückt aus der Ferne heran.

Das Ende

Am Ende fand ich den Postel nervig bis langweilig. Er war rechthaberisch und aus jedem seiner Sätze quoll die Gier nach Bestätigung und Anerkennung hervor, denn er hatte nichts und war ein niemand. Er hatte einen Kokon um sich gesponnen, der die Wahrheit nicht zu ihm durchdringen ließ und versuchte uns davon zu überzeugen, dass er ein Schmetterling sei. Jedoch hatte er am Ende sich selbst betrogen.

Für mich eine sehenswerte Sendung!

Am Ende noch zwei Fragen: Was aber wäre, wenn der Gert Postel nicht Gast gewesen wäre? Was wäre, wenn ich mich täuschen wurde? Am besten, Ihr schaut Euch die Sendung selbst an. Was meint Ihr dazu?

Hier das Video »Schulz & Böhmermann« vom 10.01.2016 in der ZDF Mediathek:

Schulz & Böhmermann - ZDF Mediathek

Quelle: ZDF Mediathek, Stand 13.01.16, Bild und Video © ZDF


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