Der Gestank des Kunden

Haircut by fxhakan
Haircut

Sie nähern sich dir unsichtbar und lautlos. Penetrieren dich dann und katapultieren dich sofort durch die Zeit in die Vergangenheit oder direkt ins Hier und Jetzt: Gerüche.

Gestern. Noch bevor mein Körper den Raum betrat, hatte ich diesen markanten Geruch des türkischen Eau de Colognes Kolonya, den ich noch sehr gut aus meiner Kindheit kannte, in der Nase. Ein scharfer, zitronenartiger Duft, der auch in dezenter Form so stark roch, als könnte es als Desinfektionsmittel alles Leben auslöschen oder Tote wiederbeleben.

Als Kind fand ich diesen Geruch belebend, als Erwachsener eher unangenehm. Dieser Geruch verkroch sich nun in meine Nase und kitzelte Erinnerungen aus meinen Hirnwindungen, noch ehe ich an diesem sonnig-heiteren Tag den türkischen Friseurladen betrat.

Nach der Sonne draußen wirkte der Laden im Inneren dunkler als sonst und erfrischend kühl. Vier Sitzplätze reihten sich vor mir auf. Drei davon waren besetzt, der eine geschlossen. Ich setzte mich auf die Wartecouch gegenüber den Sitzen.

Das türkische Kölnisch Wasser war in jedem türkischen Haushalt zu finden, ohne dass man danach suchen musste. Als ich noch jung meinen Bart, oder besser gesagt, die Pflaumen auf meiner aufkeimenden Oberlippe, rasierte, benutzte ich wie mein Vater sein Kolonya als Aftershave.

Eine große Flasche aus geriffeltem Glas, in dem buntes Wasser herum tanzte, als sei es ein leckeres Getränk – ich hörte nie, dass jemand diese türkische Allzweckwaffe je getrunken hätte, nur, dass mein Vater in jungen Jahren seine Erkältung damit auskurieren wollte (nahm ich jedenfalls an) und einen kräftigen Zug durch seine Nase zog. Tja, der Mann, der vom Schwarzen Meer kam, sah schwarz, kurzum: Es haute ihn sofort um. Das tat er danach nie wieder.

Ich hätte mich das nie getraut, alleine als Aftershave wirkte es schon sehr stark. Das Brennen und der beißende Geruch auf meiner Oberlippe verjagten die Müdigkeit am Morgen und waren wie ein kräftiger Kaffee mitten ins Gesicht. Bis, ja, bis zu jenem Tag in der Oberstufe an dem ich an einem Kurs in einem winzigen Klassenzimmer teilnahm.

Es war an einem Samstagmorgen im Sommer. Normalerweise rasierte ich mich nicht an diesem Tag, doch wollte ich den Damen in dem Kurs gefallen. Mit blankrasiertem Gesicht, das leicht gerötet war, saß ich in dem Raum an dem großen Tisch, an dem wir alle saßen. Es war der einzige Tisch. Mehr passte nicht in den Raum. Das Fenster blieb einen Spalt offen, weiter geöffnet hätte es einen Schüler an den Kopf gestoßen. Wir alle hofften vergeblich auf einen erfrischenden Windstoß.

Ich präsentierte mich von meiner schönsten Seite, was mir ein wenig schwer fiel. Der Tag wärmte die Luft im stehenden Klassenräumchen auf. Während wir uns alle nach Wind oder einer Regung sehnten, begann mein Gesicht zu glühen und zu brennen. Man könnte sagen, ich war heiß und bestimmt wunderschön mit diesen wundroten Wangen.

Das entging den Damen nicht. Eine gewisse Nervosität breitete sich vor meinen Augen in ihren Reihen aus. Tuschel, tuschel. Köpfe drehten sich schnell nach links und rechts. Schauten sie zu mir herüber? Etwas selbstzufrieden hoben sich meine Mundwinkel zu einem Lächeln. Doch dann schnellte meine Unterlippe nach oben in die Mitte meines Lächelns, als ich Esther (die Rebellin untern den Ladies) sah, wie sie sich zum Lehrer beugte und mich sein Blick traf.

Nach dem aufgeheizten Unterricht kam der Lehrer lächelnd zu mir und sagte in lockerem Ton: »Hakan, sie sollten das nächste Mal ein dezenteres Aftershave benutzen. In so einem kleinen Raum fühlen sich die Damen damit unwohl.«

Es schien ihn sichtlich amüsiert zu haben, was mich mehr irritierte als das Aufbegehren der Damen gegen die ungewollte Penetration durch die Nase. Aber der war schon immer eine coole Sau!

Seitdem habe ich nie wieder türkisches Eau de Cologne aufgetragen. Also nicht mehr aktiv, eher passiv beim türkischen Friseur.

Ein Kunde setzte sich auf den Sessel. Der Friseur schwang sein rotes Tuch um ihn und befestigte es an dessen Hals. Bis ich an die Reihe kam, dachte ich mir gelangweilt, dürfte es wohl eine Weile dauern.

Der Friseur griff zu einem Fläschchen mit klarer Flüssigkeit, öffnete seine linke Hand und drückte die Flüssigkeit hinein. Legte das Fläschchen wieder zurück, um seine rechte Hand freizubekommen. Dann rieb er seine beiden Hände aneinander und verteilte die Flüssigkeit an seinen Händen. Als er seine Hände zu seinem Gesicht erhob, weckte er unfreiwillig meine Aufmerksamkeit.

Zunächst dachte ich, er wolle damit sein Gesicht reinigen. Dann nahm ich an, er rieche daran, um zu testen, ob seine Hände sauber seien. Aber dann öffnete er kurz die linke Hand und stupste sich auf die Nasespitze. Igitt! So schnell und leicht, dass es niemand bemerkte.

Ich fand es unhygienisch, weil ich annahm, er hätte seinen Rotz weggewischt. Unbewusste hatte ich seine zu gepolsterte Jacke, die er trotz des warmen Wetters noch immer trug, als Erkältung interpretiert. Doch urplötzlich nahmen meine Gedanken eine andere Wendung: Gestank!

Was für ein raffinierter Kerl!

Er hatte sich einen Tropfen auf seine Nase getupft, um den Geruch seiner Kunden zu übertönen. Äußerst geschickt! Der Geruch von seinen Händen hätte nur solange gereicht, solange er mit dem Kopf sehr nah an seinen Händen war. Nahm er jedoch seinen Kopf hoch, entfernte er sich von seinen Händen und der Körpergeruch des Kunden hätte ungefiltert direkten den Weg in seine Nase gefunden.

Natürlich kamen mir ein paar Fragen in den Kopf. Stank dieser Mann? Oder hatte der Friseur eine sensible Nase, und tat er es bei allen seinen Kunden? Oder was macht er bei Kunden mit fettigen Haaren oder Schuppenflechte? Ein gelangweilter Geist ist ein Suchender, aber kein geistreicher. Mal schauen, was er bei seinem nächsten Kunden machen würde.

Und dann kam ich an die Reihe. Wie es der Zufall wollte beim ihm. Gespannt setze ich mich hin und beobachtete seine Hände.


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