Räsel, Fragen von Emily Morter

Ein Bilderrätsel oder Wie man gegeneinander interagiert

Das Universum ist voller Mysterien.
Mittendrin eine Welt voller Rätsel.
Darauf ein bunter Wollknäuel voller miteinander auf wundersame Weise kommunizierender Wesen.

Und je näher man hinein zoomt, desto verwirrender wird es.

Kein Lebewesen ist heute in der Lage, so nuanciert, facettenreich, detailliert und präzise miteinander zu kommunizieren wie der Mensch. Vor allem besitzt keine andere Spezies die göttliche Gabe, Emails zu schreiben.

Das heutige Stück handelt von einer mysteriösen Email, die eigenwillige Bahnen durch die Leben verschiedener Personen zieht und bei mir Fragen hinterlässt. Die darin agierenden Personen sind real, ebenso die Wege, die diese Email geht und nicht selten in ähnlicher Form in der Welt des Beraters auftaucht. Daher sind die darin vorkommenden Personen anonymisiert (hat nichts mit DSGVO) zu tun und die Geschichte als Bilderrätsel mit Worten gemalt.

Finde die Lösung!

Die Mail erreicht mich, ohne wirklich an mich gerichtet zu sein. Sehr seltsam. Eine verbogene Form der Anrede. Nicht persönlich, nicht direkt, als wolle man mich nicht direkt ansprechen. Sofort denke ich an »Es reibt sich die Haut mit der Lotion ein« aus »Das Schweigen der Lämmer«.

Auf der Mail stehe ich oben, alleine als Empfänger, aber gerichtet ist sie an alle in jener Form der größtmöglichen Distanzierung eines »Hallo zusammen«. Ich fühle mich ein wenig herabgesetzt. An der Mail von der Person 1 (dem Initiator) hängen noch Person 2, Person 3, Person 4 und Person 5. Also sind wir insgesamt 6 Personen, aber keine gemeinsame Gruppe. Ich da oben, und sie da unten. In Wirklichkeit bin ich unten. Als Berater (Dienstleister auf Neudeutsch) treffe ich immer wieder auf Menschen in Unternehmen, die auf einen herabzuschauen scheinen, aber dieser hier schafft es, an mir vorbei zu schauen.

In der Email geht es um ein Thema, bei dem ich der Experte bin. Ein Alleinstellungsmerkmal, was gut ist, denn ein Berater ist teuer und sollte etwas können, was die anderen nicht können oder tun wollen.

Ich gehe zu meinen Teilprojektleiter, der mich u.a. beauftragt hat. Damit wäre ich bei Person 7. Ein anderer Typus. Freundlich, zurückhaltend, entgegenkommend und wertschätzend. Er sagt, dass ich natürlich bei dem Thema unterstützen kann. Sobald ich den Aufwand schätzen könne, solle ich mich bitte mit ihm abstimmen.

Also schreibe ich zurück an Person 1, ob ich aktiv werden soll. Denn die Mail ist eine Auflistung von Informationen, ohne klare Formulierung oder Auftrag an mich. Daher frage ich alleine bei ihm nach. Prompt kommt die Antwort. Unpersönlich, schwammig und wiederholend. Ich solle mich bei Fragen an Person 5 wenden. Der hängt diesmal als einziger an der Mail.

Ich vereinbare ein Treffen mit Person 5. Lade auch einen Internen aus dem Team mit ein, mit dem ich meistens zusammenarbeite: Person Nr. 8. Ich werde nämlich Person Nr. 8 zuarbeiten. Externe stehen hier in zweiter Front, was im Grunde gut ist, denn so bleibt der Kunde immer involviert und verliert nicht viel Wissen, wenn Berater fertig mit seiner Arbeit ist und zum nächsten Kunden geht.

Als Person 5, Person 8 und ich im Meeting sitzen, kennt keiner von uns den Hintergrund oder Anlass der Mail. Eigentlich hätte Person 5 als Ansprechpartner von Person 1 genannt, informiert sein müssen. Das hätte ich zumindest erwartet. Er sagt, dass er sich mit seinem Chef, also Person 1, besprechen werde.

Kurz nachdem er weg ist, bekomme ich eine Mail von ihm. Ob ich ihn anrufen könne. Person 5 hat anscheinend mit Person 1 geredet.

Am Telefon sagt er mir, er wolle keine Mail schreiben, weil das zu viel Aufwand sei, daher unbürokratisch. Das begrüße ich. Hinterher hätte ich mir doch etwas Schriftliches gewünscht. Das fände ich spannend. Wie mutig Person 5 wohl gewesen wäre? Und hätte er das, was er am Telefon sagte auch so geschrieben?

Er wolle, sagte er, raus aus dieser Sache. Diese Sache sei auch von dem Projektleiter, in dessen Team ich arbeite, initiiert worden. Und ich sei genannt worden. Und wir sollten doch die Sache vorantreiben.

Die Sache, die eigentlich ihre Sache ist und bei dem wir SIE unterstützen wollen. Jetzt bot er also widerwillig seine Unterstützung uns an und drehte das Rad in verkehrter Richtung. Verkehrte Welt. Sehr seltsam.

Als Externer, sage ich, kann mich nur mein Projektleiter beauftragen. Warum, frage ich, spricht Person 1 nicht mit Person 9?

Nein, mein Projektleiter könne seinen Chef anrufen, und wenn nicht gewollt, können wir es ja sein lassen.

Ich bin irritiert. Das klingt ein wenig beleidigt und als wollten wir etwas von ihnen. Sollten nicht wir sie unterstützen. Ich verstehe immer noch nichts.

Ok, sage ich, ich kläre das intern.

Warum die Person 1 nicht direkt meinen Projektleiter angesprochen oder ihn zumindest in Kopie auf der Mail genommen oder überhaupt inhaltlich Angaben gemacht hat, die auf irgendetwas schließen lassen, bleibt sein Geheimnis.

Also gehe ich zu meinem Projektleiter – das ist dann Person Nr. 9.

Gebe ihm verwirrt den Inhalt wieder, was zur Verwirrung auf seiner Seite führt. Daraufhin ruft er die Person 5 an. Bespricht sich anschließend noch mit Person 1 und involviert Person 3. Denn der Gegenstand der Mail, das erfahre ich später, wurde vorab mit Person 3 vereinbart, der den Anstoß gab (aber nicht die Art und Weise). Person 2 darf man dabei nicht vergessen. War auch involviert.

Das Ergebnis landet wieder bei mir als Mail.

Person 8, den ich zum Meeting mitgenommen hatte und dem ich zuarbeiten soll, soll das Thema an Person 2 übergeben. Die Person 2 wird es in den Aufgabenumfang des eigenen Teilprojekts übernehmen und damit Person 8 beauftragen (Ping-Pong), dem ich dann zuarbeiten darf. So schließt sich der Kreis und dreht sich das Rad.

Jetzt zur Frage: Welche Nummer bin ich?

photo by Emily Morter on Unsplash