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Seelenreparierer

Jede Beziehung veränderte einen Menschen. Meistens waren es bereichernde und erfüllende Erfahrungen. Manchmal aber richtete sie Schaden an und hinterließ etwas nicht definierbar Kaputtes in einem zurück.

Das Kaputte reiste dann als blinder Passagier mit zur nächsten. Dort breitete es sich im menschlichen Zwischenspiel wie ein Virus von einem Menschen auf den Nächsten aus. Doch im Gegensatz zu einer ansteckenden Krankheit hoffte es auf Heilung. Fand sie diese nicht, dann suchte sie ihr Heil beim Nächsten und alles begann von vorne.

Ich fragte mich, wie es zu einer Heilung kam. Mussten beide Partner stark sein oder reichte nur einer von beiden? Brauchte es ein Zuhause oder nur eine Werkstatt?

Ich wusste es nicht.

Ebenso wenig verstand ich nicht, worin der Bruch ihren Ursprung nahm. Geschah es in der Kindheit, lag es an der allerersten Beziehung oder an der ersten Beziehung mit einem »kaputten« Partner.

Oder über ihre Art der Ausbreitung, also jenem Moment, wo das Kaputte sich als Riss in die Beziehung hineinfraß. Über die Zeit sammelten sich all die Kleinigkeiten darin und breiteten sich aus wie Verästelungen eines Baums.

Dann konnte man es nicht mehr ignorieren.

Manchmal waren es Handlungen. Manchmal reichten Worte. So lief es bei mir. Harmlos klingende Worte für einen Außenstehenden.

An jenem normalen Tag kamen sie in Form eines Vergleichs.

»Mein Ex«, sagte Sybille mit empörtem Gesicht, »würde sich nie so verhalten.«

Das saß. Wie ein Schlag in die Magengrube eines schlaffen Bauchs.

Ich erinnerte mich nicht mehr, was ich falsch gemacht hatte (war das wichtig?). Da ich aber nie etwas Schlimmes gemacht habe, höchstens mal unsensibel war, konnte es sich nicht um etwas Schwerwiegendes gehandelt haben.

Vielleicht, dachte ich mir, war ich nicht das Ziel ihrer Attacke, sondern nur das Opfer – wie sie. Mit ihrem Exfreund, der »Liebe ihres Lebens«, zumindest bis dahin.

Fünf Jahre führten sie beide eine glückliche Beziehung. Sie begann mit seiner Aufnahme seines Studiums und endete einseitig überraschend mit seinem akademischen Abschluss. Das Ende seines Studiums markierte in mehrfacher Hinsicht einen neuen Lebensabschnitt, einen Neuanfang, für beide, jedoch unfreiwillig für eine.

Alles sollte besser werden, sagte sie – aber war es denn vorher schlechter? Sybille hatte alles um sein Leben herum organisiert, vielleicht daher. Sie arbeitete, bezahlte die Miete für die gemeinsame Wohnung, bezahlte die gesamte Inneneinrichtung, das gemeinsame Essen, ihr gemeinsames Leben und damit auch sein Studium.

Mit dem Ende seines Studiums wäre er dann an der Reihe gewesen, denn sie wollten Kinder. Er jedoch hielt sich nicht an ihren Plan, an die stille Übereinkunft über ihre gemeinsame Zukunft. Stattdessen fand (oder suchte?) er sich eine neue Freundin. Bezog still und heimlich eine Wohnung mit ihr und verschwand von heute auf morgen aus ihrem Leben und hinterließ eine klaffende Wunde, die so schmerzhaft war, dass sie über Monate Medikamente verordnet bekam.

Also, mit diesem »miesesten aller Arschlöcher«, von dem ich bis dahin hörte, verglich sie mich und ich schnitt schlechter ab!

Das traf mich.

Ich war kein Arsch, ich war nur direkt, und das kam nicht immer und überall gut an. Wie das eine Mal, als mir eine Frau von ihrem Ex vorschwärmte, wie toll er sei, was für tolle Eigenschaften er besaß und bla bla bla. Eigentlich sei er perfekt, bis auf – und hier unterbrach ich sie: Bis auf, dass er dich mit einer anderen betrogen und hintergangen hat! Dann war ich das Arschloch, nicht ihr Ex, weil ich sie aus ihrer wunderschönen Realitätsverzerrung herausriss und mit der schmucklosen Wahrheit konfrontierte.

Noch weniger verstand ich Vergleiche. Mir wäre nie in den Sinn gekommen, meine Freundinnen miteinander zu vergleichen. Das machte für mich keinen Sinn, dazu waren sie viel zu unterschiedlich. Jede von ihnen verfügte über ihren einzigartigen Vorzüge und Schattenseiten.

Vielleicht trat ich zu sehr in diesen Schatten hinein, weil ich Licht hineinbringen wollte. Für mich verbarg sich im Schatten das eigentlich Interessante eines Menschen, dramatisch ausgedrückt: ihre Abgründe. Der Ausblick am Rande des Abgrunds war dramatisch und spektakulär.

Ich übertreibe. Jedoch lag etwas zwischen uns, ein ungutes Gefühl. In einem Moment sagte sie mir, dass niemand sie jemals besser als ich verstünde, ja, sogar, dass ich sie besser als sie selbst kannte und in vielen anderen suchte sie nach etwas, das gegen mich sprach. Das war wie Bungeejumping über einem Abgrund.

Nach Sybilles Vergleich ging es abwärts. So nahm ich es zumindest wahr. Vielleicht begann mein Abstieg früher, ich hatte es nur nicht gemerkt.

Kleinigkeiten sammelten sich über die Zeit zu einem großen Loch mit weitverzweigten Verästelungen, das ich nicht stopfen konnte oder wollte. Ich brachte jedoch nicht den Mut auf, die Beziehung zu beenden. Sie brauchte Zeit, sagte ich mir, und wie konnte ich mit einer Frau Schluss machen, die so gelitten hatte? Das wäre zu hart für sie gewesen und ich mochte sie immer noch sehr.

Sie suchte einen Job, eine Wohnung, ein neues Leben. Als sie ihre neue Wohnung bezog, begann auch für sie ein neuer Lebensabschnitt – ohne mich. Sie machte Schluss.

Welch Ironie! Das Leben bestand nur aus Variation des Gleichen, dessen, was wir vorgelebt bekamen und kannten und auf unsere Weise in Nuancen änderten.

Wer eine heiße Herdplatte anfasste, tat dies nie wieder. Beziehungen waren viel komplizierter oder einfach bescheuert. Menschen, ging mir ein Gedanke durch den Kopf, sind Wiederholungstäter, ohne genau sagen zu können, wer die Opfer und die Täter waren. Die Psychoanalyse vertritt die Theorie, dass Täter selbst einst Opfer waren. Eine andere Theorie besagt, dass wir Situationen wiederholen bzw. unseren Partner in Situationen drängten, in denen wir uns verletzt fühlten, um dem Partner die Situation nachempfinden zu lassen oder diesmal als Sieger daraus hervorzugehen.

Ich kam mir vor wie eine Zwischenstation, eine Art Notaufnahme oder Werkstatt zum Reparieren einer verletzten Seele. Vielleicht musste ich auch in eine Werkstatt…

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