Stell dich nicht so an!

Im Leben treffen wir viele Entscheidungen. Eines der wichtigen handelt vom Anstellen an der richtigen Kasse im Supermarkt. Denn schnell stellst du dich falsch an und wartest verärgert, während die Menschen um dich herum an all den anderen Kassen an dir vorbeirauschen.

Dann schielst du verstohlen an die benachbarte Kasse, während sich unbehagliche Fragen in deinem Kopf formen.

Soll ich an die andere Kasse oder hier bleiben?

Und während du überlegst, steigt ein mulmiges Gefühl langsam in dir auf und deine Unsicherheit wächst.

Sollst du jetzt gehen?
Was, wenn diese Kasse sich am Ende als langsamer herausstellt?
Eine undenkbare Schmach!

Gefühlt ist die Kasse, an der man ansteht, immer die langsamste. Das ist das Gesetz des Spurwechsels, noch heute besungen auf deutschen Autobahnen und gelebt von Millionen Autofahrern.

Ebenso durchlebt von mir.

Irgendwann entschloss ich mich, die einmal ausgewählte Kasse als die Beste zu definieren. Ehrlich, es ergab gar keinen Sinn, mir Gedanken über eine schnellere Kasse zu machen. Wir waren hier schließlich nicht bei einem Rennen, bei dem irgendjemand irgendetwas gewinnen könnte. Allerdings scheinen einige der Meinung zu sein, etwas verlieren zu können.

1, 2 oder 3 – letzte Chance – vorbei!

Ich kam an einer Kasse vorbei und sah, einen Mann vor mir nach rechts von dieser Kasse zur anderen springen.

Plopp!

Mein Kopf war zu Scherzen aufgelegt und begleitete den Sprung des Mannes mit dem Plopp-Kommando aus 1,2 oder 3. Während Michael Schanze noch »letzte Chance – vorbei« sang, lenkte ich meinen Wagen an die Kasse, direkt an das Laufband.

Plötzlich riss der Mann seinen Einkaufswagen herum und wollte zurück. Aber jetzt stand ich dort. Überrascht bremste er den Wagen.

#1 Mein Platz und dein Platz hinter mir

Er hatte sich verkalkuliert, und jetzt sah er mich auf seinem ursprünglichen Platz. Er verzog sein Gesicht, als hätte ihm jemand einen Hieb in den Magen versetzt. Krümmte sich leicht nach unten, weil er es nicht schaffte, seinen Mundwinkel zu einem freundlichen Lächeln nach oben zu verziehen.

»Ich wollte nur dort schauen. Ich war gar nicht weg.« Er beugte sich weiter runter, als wollte er mit den Schultern zucken und hob zum Ausgleich seine Mundwinkel, die seine Eckzähne entblößten.

Ich schaute ihn an und sagte nichts. Nein, du willst nur spielen. In seiner naiven und unbeholfenen Art hätte er mir fast leidgetan, hätte er mich nicht eben für dumm erklärt.

#2 Du kannst mich einfach nicht verstehen

Ein Stück vom Band wurde frei, und ich griff nach den Getränken: 1,4l Cola light, zwei Flaschen Mineralwasser medium, zwei Plastikflaschen fettarmer Milch 1,5l.

Sein Kopf zuckte kurz ungläubig, dann richtete er sich auf, und die Mundwinkel verzogen sich als Gegengewicht noch weiter nach unten.

»Verstehst wohl kein Deutsch, was?!«

Er sprach die Worte schmierig und angewidert aus, als würde ihm bei der Aussprache übel werden. Und doch klang er wie jemand, der diese Worte häufiger ausgesprochen zu haben schien. Dann schaute er mich selbstzufrieden an, wie jemand, dem die Wirkung seiner Worte bewusst war.

Ich schaute ihn wieder teilnahmslos an – irgendwie fand ich es spannend. Was wird er als nächstes sagen? Vermutlich das, was bei den meisten in solchen Fällen gesagt wurde.

Er guckte immer noch.

#3 Der enttäuschende Ausländer

Als ihm klar wurde, dass seine Worte die erwartete Wirkung verfehlten, blickte er wieder irritiert und wirkte für einen Moment ratlos.

Plötzlich riss ein Gedanke ein triumphierendes Lächeln aus seinem Gesicht.

»Ihr Ausländer«, sagte er, und sein Kinn begann sich zu heben, »versteht nur, wenn es um Geld geht!«

Und zack! sein Kinn raste nach unten. Sack zugemacht! Ein selbstgefälliger Ausdruck breitete sich auf seinem Gesicht zu einem breiten Grinsen aus. Seine Siegerpose wirkte einstudiert und seine Worte abgenutzt.

Der Zonk hinter Tor 3 – der enttäuschte Ausländer

Laaaaaangweilig, weil zu oft gehört, daher unkreativ. Wieso konnte keiner überraschend sein oder originell? Ich war ein wenig enttäuscht. Er gab sich keine Mühe und behandelte mich wie jeden x-beliebigen Ausländer. Dabei war ich etwas Besonderes!

Ich verstand, wie Frauen sich fühlen mussten, wenn sie immer die gleichen, dummen Anmachsprüche hörten und der Typ sich für einen Hengst hielt. Ja, auch ein Esel greift nach den Sternen.

Kampf gegen die Schatten im Kopf

Noch vor wenigen Jahren hätte mein Kopf bei der Ausländer-Keule reflexartig Worte scharf geladen, die ich über all die Jahre als Verteidigung gesammelt und geschliffen hatte und die mein Mund jederzeit wie Salven abfeuern hätte können.

Ich war gelassener geworden, ließ mich nicht in den negativen Sog mitreißen. Vor allem stilisierte ich nicht jede Auseinandersetzung als persönlichen Angriff zu einem Kampf, den ich gewinnen musste.

Ich drehte mich zum Laufband, legte das Steinofenbrot darauf und die Brokkoli daneben. Was soll ich mitbringen? Brak-koli? Meine Mutter sprach ihr eigenes Deutsch. Ich musste lächeln.

Merkwürdig, wie weit er mit seiner Provokation daneben lag. Was mein Deutsch betraf, klar, ich könnte mich steigern. Was allerdings die Sache mit dem Geld angeht, es bedeutete mir gar nichts, denn meine Eltern lehrten mich die wichtigen Dinge des Lebens. Meine einzige Schwäche waren und sind Süßigkeiten. Da hätten meine Eltern besser aufpassen sollen!

Kein Wunder also, dass ich dem Mann fremd war, und er mich mit keinem seiner Worte traf. Stattdessen führte er einen Kampf gegen etwas, das nicht existierte und sich nur in seinem Kopf befand.

Ich überließ den Fremden sich selbst und legte das Marzipan von Niederegger (400g) auf das Band. Griff nach der 280g Packung M&M’s® Erdnuss, holte die Leibniz Choco Vollmilch Kekse heraus – mehr wird nicht verraten.

Wäre ich dick gewesen, dachte ich, hätte er mir unterstellt, dass ich schnell heim müsse, um zu fressen.

Ich kam schnell voran.

Die Schuld des anderen oder etwas Philosophisches zum Schluss

Er jedoch blieb an der falschen Kasse stehen und schmollte. Er hätte sich einfach hinter mich stellen können, dann wäre er immer noch schneller gewesen, aber einmal sich festgelegt konnte er nicht mehr anders. Dann hätte er sich seinen Fehler eingestehen müssen. So konnte er die Schuld einem anderen geben.

Er hatte so viele Worte und Zeit verloren, dabei hatte er die schnellste Kasse gesucht. Nur wozu? Um zwei Minuten schneller aus der Kasse zu kommen? Was hätte er mit diesen zwei Minuten angestellt? Hätten sie sein Leben grundlegend verändert?

Nein, er gehörte zu jener Sorte Mensch, die immer nach etwas vermeintlich Besserem trachtete. Und, das was ein anderer hatte – oder ihm wegnehmen konnte oder »weg«nahm – gehörte immer schon zum Besseren. Ein ständiger Quell für lebenslange Unzufriedenheit.

Wir freuen uns, Sie bald wieder zu sehen

Ich packte meine Einkäufe in meine Tragetasche.
Er hätte einfach freundlich fragen können.

Nachtrag oder Aaalder, bin isch Hakan

Ich habe mich jetzt zu einem Deutschkurs angemeldet.

photo credit: auntmasako


15 Antworten zu “Stell dich nicht so an!”

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