Das Chaos und meine Wohnung oder Unordentliche Gedanken

Das Chaos in meiner Wohnung würde 3 von 10 Punkten in einem Messie-Contest bekommen, damit eines der letzten Plätze belegen. Und doch erreichte meine Unordnung in meinem persönlichen Wohlbefinden ein unangenehmes Maß als ich meine Wohnung wegen Umzugs räumte – vorher hatte ich es erfolgreich ignoriert.

Erst dann wurde mir bewusst, dass auch in mir eine Art Messie wohnen musste (ich tröstete mich mit dem Gedanken, dass er in unterschiedlich ausgeprägter Form in jedem von uns steckte).

Ich hatte es geschafft, verschiedene Schichten der Unordnung in meiner Wohnung kreativ aufzutürmen. Halbgeöffnete Schokoladenpackungen auf lose verteilten Blättern. Dazwischen Stapel von Büchern. Gebettet auf Briefen, Notizzetteln. Darunter etwas Unsichtbares mit noch mehr verdrängtem Zeug. Das ganze drapiert mit Kleinigkeiten wie Stifte, Münzen, ein Kaffeebecher mit Löffel und einer feinen, alles umhüllenden Staubschicht. Und das war erste die kleine Ecke der Kommode.

Es war ein geschickter Turm der Ordnung des Chaos, bei dem ich immer neue Schichten anlegte, die darunterliegende verstecken sollte und suggerierte, alles sei ordentlicher als es war. Und tatsächlich gelang es mir auf einigen Ebenen eine ordentlich wirkende Schicht anzulegen. Ich nannte sie »die versteckte Unordnung« (damals kannte ich den Begriff der »alternativen Ordnung« nicht).

Messie-Dramatik

Ich übertreibe natürlich ein wenig der Dramatik wegen. Ein Messie ist ein Mensch, der zwanghaft Dinge hortet. Ich jedoch war häufig zu faul, die Dinge einfach wegzuräumen oder zu schmeißen (also nicht in den Raum, sondern in den Müll).

Wahr ist, dass ich immer in diesem Kontext an einen Messie dachte. Seltsam. Lag es an den Sendungen im Fernsehen? Was war das nochmal für eine Sendung, Trödelclub? Nein, klingt komisch, wobei ein Trödelclub meine Neugier wecken würde. Also googelte ich.

Der Trödelclub

Der Trödeltrupp! Tatsächlich hatte ich mir zwei oder drei Sendungen in der Hoffnung angeschaut, ich könnte ein paar Tricks und Tipps von Profis lernen, wie ich meine Wohnung effizient und gegen den inneren Schweinehund »entrümpeln« könnte.

Die erste Folge schaute ich neugierig an und war überrascht und baff zugleich. Die Sendung glich einer Schatzsuche oder einem Märchen, der aus etwas Hässlichem durch Liebe etwas Schönes schaffte, aber irgendwie immer auf einer Müllhalde landete.

Also schaute ich mir weitere Folgen an, die direkt im Anschluss folgten.

Doch bei weiteren Folgen fand ich das Vorgehen des Trödeltrupp Trios (von Liebhabern »Triple-T« genannt) merkwürdig. Es war nicht die Vorhersagbarkeit, sondern mir schien, als folgten sie der immer gleichen Dramaturgie, deren Akte ein ungutes Gefühl in mir aufflackern ließen. Das Drama in drei Akten glich einer Heldenreise:

Das Chaos – Die Konfrontation – Die Erlösung

Das Chaos

Unscheinbare Menschen, die in kleinen Wohnungen lebten, öffneten scheinbar unendlich große Räume, deren Fassungsvermögen die meines Kopfes übertraf.

Als Zuschauer war ich sofort überwältig. Unmengen von Kram, die sich in unvorstellbaren Schichten türmten, bei denen meine aufgestapelten Hochburgen eher flachen Landschaften glichen. Ich war beeindruckt von dieser menschlichen Leistung.

Auch das Triple-T zeigte sich trotz mehrsendiger Erfahrung jedes Mal von neuem sichtlich von dieser Darbietung beeindruckt – eine Art Demutstopos für die Götter, um sie anschließend auf dem Müll zu deponieren.

Dann passierte immer das Gleiche. Die Trödler nahmen eine rigorose Bewertung der Sachen vor, die für mich Formen einer Abwertung annahmen, und die jeder persönlich nehmen musste. Sie teilten das Sammelgut in zwei Kategorien ein: Schrott und verwertbar.

Es schien eine ungleiche Verteilung zu Ungunsten des Letzteren zu sein. Und hierin deutete sich bereits die bevorstehende Konfrontation an. Aber je schlechter das Material befunden wurde, desto höher die Dramatik und größer die Leistung des Triple-T-Teams (an dieser Stelle fragte ich mich, kann diese Sendung bewusst fair bewerten oder lernten die Akteure im Stillen eben jenen Zusammenhang – aber, wer im Glashaus sitzt, sollte selbst nicht mir Schrott werfen).

Die Konfrontation

Der Besitzer reagierte wegen seiner Schuldgefühle zunächst beschämt und freute sich zugleich über die professionelle Hilfe. Als dann der riesige Müllcontainer, in den ein ganzes Haus hineinzupassen schien, vor seinem Haus oder seinem Lager auftauchte, begannen die ersten Zweifel sich in seinen Gedanken vorzukämpfen.

Dann wurde strikt und mit atemberaubender Geschwindigkeit aussortiert und nach einem mir nicht verständlichen Muster nahezu alles in den Müllcontainer befördert. Ich bin kein Trödelexperte, aber einiges schien mir dann doch zu weit zu gehen (wollten die Jungs so viel wie möglich wegschaffen, um tolle Vorher-Nachher-Bilder ihrer einzigartigen Leistung zu präsentieren?).

So ähnlich schien es auch dem Besitzer zu gehen, der völlig überfordert seine massiven Verluste zuerst wortlos hinnehmen musste, um dann aggressiv gegen seine Retter vorzugehen.

Dramatische Bilder mit großen Emotionen. Der Hilfesuchende wendete sich gegen seine Helfer. Die Situation schien zu eskalieren. Einige der Besitzer zerstörten lieber ihre Sachen als sie dem Müllcontainer kampflos zu übergeben.

Ja, so ist es, die Therapie richtet sich immer gegen die Falschen. Doch die Triple-T sind auch in zwischenmenschlicher Situation Profis. Sie blieben ruhig und führten dem aufgebrachten Besitzer, der besitzlos zu werden drohte, vor, dass er im Grunde keine Wahl hatte. Am Ende gab er nach, um anschließend durch die nächste Prüfung zu gehen, die ihn an den Rand seiner Verzweiflung brachte: Das Verkaufen der übrigen Waren.

Für den Verkauf boten sich zwei Möglichkeiten: Der Flohmarkt für massenkompatiblen Sachen und ausgewählte Händler bzw. Liebhaber.

Die Veranstaltung des Flohmarkts führte immer wieder zu einem eindrucksvollen Menschenauflauf und beeindruckendem Abverkauf von massenhaft Waren. Und alle schienen sie froh darüber zu sein.

Nur wenn ein Besitzer nicht mitspiele und aus der Reihe tanzte, weil der Preis von ihm für zu gering erachtet wurde, das passierte – wenn ich es richtig in Erinnerung habe – eher bei dem Händlerverkauf, dann fragte ich mich, wie die Trödler so schnell so gut all die Waren schätzen konnten. Wie konnten sie einer Sammlung, die sehr groß und heterogen war und über viele Jahre erworben wurde, in den wenigen Tagen (ich glaube, es sind knapp drei Tage) gerecht werden?

Die Erlösung

Nach den Aktionen, die Tag für Tag eine neue und andere Welle der Prüfung für den Besitzer bedeuteten, kam am Ende die Erlösung: Die Auflösung der Erlöse.

Die für den Besitzer wertvolle Sammlung wurde in einen objektiv messbaren Wert transformiert. Die Scheine wurden vor der glücklichen Familie ausgebreitet. Sie hatten nicht nur Geld bekommen, sie wurden auch den Ballast los, der ihre Beziehung und teilweise Existenz an ihre Grenzen führte.

Was ich mitnehme oder da lasse

Die Sendung, die Menschen in Notlagen kurzfristig hilft, kam mir ein wenig zu radikal und einfach geschnitzt vor. Sie diente dem Medium Fernsehen und nicht dem Protagonisten, der eher einer tragischen Figur glich.

Das Vorgehen erinnerte mich an einen kalten Entzug, einer Radikalkur, die dem Menschen alles lieb und teuer gewordene in Schnelltempo wegnahm und dann alleine zurückließ. Ein Glück mit kurzer Verweildauer? Ich weiß es nicht.

Vielleicht bin ich auch ein wenig ungerecht und habe die Gabe, das Negative herauszupicken und stehen zu lassen – das kam mir doch bekannt vor?! Ja, ich wollte mich von der Sendung inspirieren lassen, am Ende ließ ich mich davon ablenken, also das klassische »Trödeln«.

Am Ende blieb nur die Erkenntnis, in der neuen Wohnung erst gar nicht mit schlechten Gewohnheiten anzufangen. Bisher habe ich es geschafft…

photo credit: jaumescar Brussels via photopin (license)


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