Brückentag by fxhakan

An einem Brückentag hängen keine Liebesschlösser

»Was für eine Scheiße ist das denn hier!« Der Mann führte kein Gespräch mit irgendjemanden, sondern gegen irgendetwas. Er brüllte seine Worte verärgert in die anonyme Masse hinein, dessen Schicksal er gleich teilen würde.

Ich war gestern bei IKEA, an einem Montag, den 31.10. – ein Brückentag. Ich hielt es für eine gute Idee, morgens dorthin zu gehen. Eine Idee, die so gut war, dass andere sie mit mir teilten (manches klappt auch ohne soziale Netzwerke).

Jetzt stand ich mit leerem Wagen eingereiht in einer Warteschlange, dessen Anfang ich nicht sehen konnte und dessen Ende auch nicht in Sicht war. Ich wartete weit vor den Regalen mit den gewünschten Möbeln vor einer Menschenmasse, die sich wie ich ohne Waren an den Kassen angestellt hatte, als jener Mann sich seitlich an den Reihen durchdrängte und seine Worte über die anstehenden Menschen verteilte – jeder stellt sich auf seine Weise an.

Aber niemand reagierte.

Dann pumpte sich sein Kopf rot auf und lud abgestandene Worte in seinen Mund. Er führte seinen Monolog gegen das unfreiwillige Publikum fort (die Augen, dachte ich, kann man verschließen, aber die Ohren müssen alles mit anhören). »Was wollen die alle hier, haben die nichts Besseres zu tun!«

Der Mann verfügte über Selbstironie, ohne es zu wissen.

Sein Blick bohrte sich durch die Reihen, als suchte er eine Schwachstelle (oder war es eine Art von Flucht?). Er rollte seine Oberlippe nach oben und sog die Luft verächtlich in seine Nase ein. Als er ausatmete, flatterten seine Barthaare wild durcheinander. Mehr Bewegung gab es nicht.

Dann plötzlich rückte er mit seinem Oberkörper in die Reihe hinein als müsste er eine Wand gewaltsam durchbrechen. »Ich muss hier durch!«

Das muss sein Schlachtruf sein, dachte ich. Ich stand abseits und konnte in Ruhe seiner Darbietung folgen. Für ihn, so schien es mir, muss die Welt aus Widerständen und Gegnern bestehen und daher war alles ein Kampf – ein Kampf gegen einen imaginären Feind, also gegen sich selbst.

Die Menge, teils selbst genervt und teils von den Realitäten des Gegebenen gelangweilt, wich unbeeindruckt zur Seite. Er wurde keines Blickes gewürdigt und in seinem Kampf alleine gelassen. Waren die Menschen ignorant oder nur an pöbelnde Menschen gewohnt? (Ich warte noch heute, dass IKEA ein Sofa herausbringt und es liebevoll »PÖBELN« nennt.)

Als sich die Reihen hinter ihm schlossen und nichts mehr auf seine Existenz hinwies, wagte eine ältere Dame mit milden Gesichtszügen den Schritt an die Menschenmauer.

Jetzt war ich gespannt, folgte eine Fortsetzung? Fortsetzungen waren (fast) alle eine Enttäuschung.

»Wären Sie so lieb und lassen mich vorbei?« Sie sprach ruhig und klang angenehm. Da die Menschen ihr mit dem Rücken zugewandt waren und nicht wussten, wer zu ihnen und zu wem sie sprach, drehten sich mehrere in der Reihe um und öffneten ihr nicht nur einen Weg, sondern schenkten ihr ein Lächeln.

Ich schmunzelte. Dieses Ende kam überraschend. Und während ich kurz vor dem Grübeln stand, mit wem von beiden ich mehr Gemeinsamkeiten hatte, bewegten sich die Menschen schnell vorwärts. IKEA hatte alle Kassen geöffnet.


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