Rhodes by Hakan Civelek

Feilschen um jeden Preis?

Ich glaube nicht an Karma oder Schicksal, aber daran, dass wer gegenüber anderen Menschen freundlich ist, immer ein Stück mehr erhält als unfreundlichere Menschen. Vielleicht handelt es nur um sehr kleines Stück und um eins, das man sich selbst am Ende macht, weil man mit einem guten Gefühl geht, aber sie reicht.

Eines dieser freudigen Kleinigkeiten erlebte ich am letzten Tag meines Urlaubs auf Rhodos in Griechenland als ich Geschenke kaufen und nicht feilschen wollte.

Unter Zeitdruck

Ich hatte nur noch eine Stunde bis der Bus zum Flughafen kam. Aufschieben konnte ich den Einkauf also nicht mehr. Ich mag das nicht. Daher mein langes Zögern bis ich mich selbst mit dem Rücken an die Wand stellte. Vor allem, wenn ich nicht wusste, was ich schenken sollte. Und dann gab es noch das Feilschen um Preise – wer den angegebenen Preis zahlte, war am Ende der Dumme. Ich wollte weder feilschen noch der Dumme sein. Keine guten Aussichten, aber unter Zeitdruck, so hoffte ich, musste ich handeln und konnte trotzdem das eine von beiden begründet unterlassen.

Feilschen auf dem türkischen Basar – Eine Typologie

Solange ich mich erinnere habe ich das Feilschen schon immer gehasst. Ein Überbleibsel aus meiner Studienzeit. Damals arbeitete ich in einem Computerladen, in dem bis auf einen deutschen Kollegen alle Mitarbeiter Türken waren. Kunden nahmen das zum Anlass, den Verkaufsraum mit einem türkischen Basar zu verwechseln und um Preise zu feilschen.

Ich kategorisierte diese Menschen in zwei Typen:

  • Die Abwerter
  • Die Anerkenner

Der Abwerter begann immer mit dem gleichen Satz: Das ist zu teuer. Dabei spielte die zu kaufende Ware keine Rolle, denn alles war zu teuer und den Preis nicht wert. Das wunderte mich immer, denn wir hatten eine Preisliste und Preise an den Produkten. Also kannte er den Preis der Ware. Wenn ihm der Preis nicht gefiel, dann musste er die Ware nicht kaufen. Aber darum ging es dem Abwerter nicht. Ihm ging es nur um sein Ego und seinen eigenen, maximalen Vorteil. Das Abwerten und Geringschätzen des Eigentums oder Arbeit anderer gehörten bei ihm zu seinem Ego-Spiel. Ich bereitete dem respektlosen Verhalten ein schnelles Ende.

Ich bin nicht gegen das Feilschen – oder besser gesagt – das Verhandeln, solange es nicht mit einem Abwerten einhergeht und beide davon profitieren. Die Anerkenner gehörten zu dieser Kategorie. Sie verstanden, dass es wichtig für beide Parteien war, ein gutes Geschäft zu machen. Sie vermieden dabei, ihrem Gegenüber plump vor den Kopf zu stoßen und so gingen beide erfreut und gesichtswahrend auseinander. Die Anerkenner waren meisten langfristige Kunden, die selbst mit unserer Ware ihr eigenes Geschäft betrieben. Beide profitierten also von der Situation.

Aber auch normale Kunden bekamen von uns – und sogar mir – Preisnachlässe oder Dreingaben. Dies war der Fall, wenn Kunden größere Mengen oder hochpreisige Waren einkauften und bar zahlten. Vor allem aber mussten sie freundlich sein.

Daher nahm ich mir immer vor, wenn ich verhandeln würde, dann immer nur wie der Anerkenner und niemals wie ein Abwerter zu sein.

Meine eigenwillige Strategie

Aber, das alles half mir in jenem Moment nichts. Ich musste in kürzester Zeit mehrere Geschenke kaufen (so also fühlten sich die »Last Minute Einkäufer« zu Weihnachten). Aber, hätte ich mehr Zeit gehabt, hätte mir das wirklich geholfen?

Eigentlich finde ich meine unfreiwillig selbstauferlegte Last Minute Strategie mit maximalem Zeitdruck gar nicht so schlecht. Je mehr Zeit jemand für das Aussuchen der Geschenke hat, desto länger beschäftigt er sich damit (die Arbeit dehnt sich in der ihr zur Verfügung stehenden Zeit aus). Am Ende, glaube ich, hat man dann nicht nur mehr Zeit mit dem Suchen verbracht, sondern die Geschenke sind nicht viel besser. Im Gegenteil, wer mehr Zeit mit Suchen verbringt, der kauft am Ende mehr – meine mir zurechtgelegte Logik ist doch großartig, oder?

Die Suche ins Blaue

Mit diesem Gefühl näherte ich mich vorsichtig einem Laden. Stand etwas abseits bei dem Schmuck und studierte eingehend die blau funkelnden Augen, die alle auf mich gleich wirkten. Sie sollen vor dem bösen Blick schützen. War das immer der gleiche böse Blick oder gab es Abstufungen des Bösen, das mit dem Blau oder Größe der Augen korrelierte? Egal, einige meiner Beschenkten hatten sich dergleichen gewünscht.

Während ich auf der Suche nach dem tieferen Sinn des Blaus war, sprach mich eine Frau von der Seite an. Ich drehte mich überrascht zu ihr um. Oh nein, es war eine Verkäuferin! Ich begrüßte sie höflich. Zu meinem Pech sah ich, dass ich der einzige Kunde in dem großen Laden war. Sofort wollte ich abblocken und am liebsten weg. Was finden die Frauen am Einkaufen so toll? In diesem Moment wünschte ich mir, ich wüsste es.

Ich ging hinein – was bleib mir übrig? Dort sollte es eine größere Auswahl geben, sagte sie. Sie war zuvorkommend und angenehm zurückhaltend. Sie ging unauffällig weg und ließ mich allein bei einer Unmenge von blauen Augen. Auf meinen Weg hinein sah ich eine weitere Frau hinter der Theke. Auch ihr nickte ich mit einem Lächeln freundlich zu.

Und dann stand ich wieder da, völlig ratlos vor einer Menge an Souvenirs und kurz davor, mich und alle anderen zu verfluchen (ob das blaue Auge auch dagegen half?). Als ich die gesamte Kaufaktion abbrechen wollte, fiel mir ein, dass ich eigentlich nichts falsch machen konnte, denn egal, welches blaue Auge ich kaufte, sie waren im Grunde alle gleich!

Beschwingt, fast schon euphorisch, packte ich mehrere Schmuckstücke in leichten Variationen. Rechnete kurz den Preis und gelangte zu einer Summe, die man leicht auf einen runden Betrag runterhandeln konnte oder die ich auch so zahlen würde.

Das unerwartete Geschenk

Die eigentliche Geschichte beginnt jetzt.

Mit vollen Händen ging ich auf die Frau hinter der Theke neben der Kasse zu.

»Italiano?«

»No.« Ich sprach es italienisch und nicht englisch aus. »I am a Turk, living in Germany.«

»Ahhh«, sagte sie, und wir begannen, uns freundlich zu unterhalten. Sie wirkte ehrlich interessiert und lächelte mich an, was sie sehr sympathisch machte. Vielleicht lag es an meiner zurückhaltenden und höflichen Art. Vielleicht gehörte das zu ihrem Alltag, sich nicht ausschließlich auf das Geschäftliche zu reduzieren, sondern sich auch für das Leben fremder Menschen zu interessieren.

Es war für mich eine sehr angenehme und entspannte Atmosphäre, dass ich fast die Zeit aus den Augen verloren hätte. Ich zeigte auf die bunten Kleinigkeiten in meinen Händen und deutete mit einem fragenden Gesicht an, dass ich den Preis wissen wollte.

Sie nahm die Teile einzeln aus meiner Hand, und zu meiner Überraschung ging sie von selbst preislich 20% bis 30% herunter. Daher suchte ich mir eine weitere Kleinigkeit aus und wollte den Preis aufrunden, weil ich sonst 50 Cent zurückbekommen hätte.

»No«, sagte sie und bestand darauf, mir meine 50 Cent zu geben.

»Wait!« Ich war bereits auf dem Weg, als sie mich aufhielt. »I have something for you.« Sie drehte sich um, kramte einen Kühlschrankmagneten mit Rhodos Motiv heraus und überreichte es mir.

Ich brauchte einen kurzen Moment, um zu verstehen, dass sie mir gerade ein Geschenk gemacht hatte. Als Erinnerung an ihren Laden, sagte sie und drückte mir den Magneten in die Hand. Blaues Meer auf weißem Hintergrund. Dann fiel mir etwas ein. Sollte dort nicht der Name des Ladens stehen, fragte ich sie. Sie nickte und drehte sich wieder um, unter die Theke.

Sie kramte nach einem Permanentmarker. Als sie den Stift in der Hand hielt, sagte sie wieder: »Wait.« Verschwand wieder unter die Theke und tauchte mit einem größeren Geschenk auf. Das sei geeigneter, meinte sie. Sie schrieb den Namen ihres Ladens »Haris Market« auf den Kaffeeuntersetzer. Verpackte es sicher. Überreichte es mir mit einem strahlenden Lächeln und etwas Stolz.

Was habe ich gelernt?

Ich verließ Haris Market mit einem guten Gefühl und überraschten Lächeln. Ich hatte alle Geschenke gekauft und war vor der geplanten Zeit fertig.

Was habe ich daraus gelernt?

Natürlich nicht, meine Einkäufe zeitiger zu planen. Der Zug ist bereits abgefahren. Das werde ich nicht mehr ändern können.

Auch nicht besseres Feilschen. Vermutlich hätte jemand mit mehr Handlungsgeschick einen geringeren Preis gezahlt. Jedoch habe ich mehr bekommen als die wenigen Euros, die ich am Ende zusätzlich besessen hätte.

Also, sei immer nett zu den Menschen, und du bekommst ein Lächeln. Manchmal sogar einen Kaffeeuntersetzer in schönen blau-violetten und braun-roten Tönen…


Eine Antwort zu “Feilschen um jeden Preis?”

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert