Halt - Du kommst hier nicht rein

Assimilation oder wie werde ich Türke

Assimiliation und Akkommodation

Wenn Kleinkinder zum ersten Mal in ihrem Leben einen Baum sehen und bisher nur Büsche kannten, dann rufen sie „ein Busch“ aus. Das Kind interpretiert das Neue, Fremde mit bisher Bekanntem. Man könnte auch sagen, das Unbekannte wird auf das Bekannte reduziert. Das nennt man Assimilation. Später erfolgt die Anpassung an die Wirklichkeit und das Kind erkennt, dass ein Baum etwas anderes, eigenes ist. Diese Anpassung und Erweiterung nennt man Akkommodation.

Das habe ich in der Oberstufe im Pädagogikunterricht gelernt. Erwachsene entwickeln sich zuweilen in die entgegengesetzte Richtung. Das habe ich im richtigen Leben gelernt.

Sprachgewitter

In den letzten Tagen wüteten wieder einmal die Medien über Deutschland und der Türkei. Merkel vs. Erdogan. Deutsch gegen Türkisch. Keine Ahnung, wie es ausgegangen ist, aber für mich bleibt wieder einmal ein fader Nachgeschmack übrig. Man könnte den Eindruck bekommen, Türken seien radikal, kriminell und passen sich nicht an. Sie hätten sich nicht integriert und seien auch nicht gewillt, das zu tun.

Sprachloser Türke

Ich bin Türke mit Migrationsvordergrund und Deutscher mit Migrationshintergrund, also etwas, für das es noch immer kein treffendes Wort, sondern nur ein Konstrukt gibt – ein Flickwerk aus Altbekanntem, das zu etwas nichts Ganzem führt, das das Separierende offenlegt und ein gewisses Unbehagen bei mir zurück lässt. Habe Abitur mit Diplom. Konnte mit 17 den Faust auswendig, mit 22 hatte ich alle wichtigen Werke Thomas Manns gelesen und die Klassische Moderne für mich entdeckt. Mein Prof. meinte, ich sei virtuos im Umgang mit der deutschen Sprache! Meine Deutschkenntnisse sind also ok. Mein Türkisch hingegen kann locker mit dem eines einheimischen neunjährigen Türken mithalten. Nur dass ich den cooleren deutschen Akzent habe. Als Kaya Yanar den genialen Spot „60 Mio Menschen sprechen kein korrekt Türkisch“ [1] drehte, bezog er sich auf die Deutschen. Ich behaupte mal dreist, das trifft auf viele in Deutschland lebende Türken in meiner und den nachfolgenden Generationen zu. Hingegen können viele Türken, die ich kenne, sehr gut deutsch.

In der Berufswelt bin ich deutschlandweit bei verschiedenen Kunden unterwegs. Es sind meist global agierende Unternehmen mit multinationalen Projekten. Da falle ich nicht auf und „vergesse“, dass ich türkischer Herkunft bin. Dort zählt das Können.

Ich bin also voll integriert.

Wir müssen draußen bleiben

Anscheinend wissen das aber einige andere nicht! Am Wochenende komme ich heim. Unternehme abends mal mit Freunden etwas. Dann treffe ich zuweilen auf eine andere Welt. Bestes und immer aktuelles Beispiel dafür ist die Tür – der Einlass in die Disco. Dort heißt es „du kommst hier nicht rein“ oder heutzutage kundenfreundlicher: „Tut uns leid, heute für dich kein Einlass.“ Aber meine deutschen Freunde könnten hinein.

Es erinnert mich an die Schilder an den Kaufhäusern, bei dem ein freudig blickender Hund mit hechelnder Zunge mit einem roten Balken durchgestrichen wurde – immerhin, der Hund wirkt privilegiert. So einfach kann man Menschen reduzieren, aussortieren und isolieren. Wie lange feiert ein Jugendlicher wohl gemeinsam mit Freunden das Wochenende auf diese Art? Wie lange dauert es, bis man sich mit Gleichgesinnten trifft, die die gleichen Probleme haben? Wie lange dauert es dann, bis man selbst ausschließt und sich gegen „die anderen“ verbündet und abschottet? Lauter Fragen…

Ich stelle mich vor

Bevor die Gedanken und der Ärger in mir aufsteigen, gehen wir zur nächsten Disco. Der Türsteher erblickt uns schon von weitem. Na, toll! Ich hatte keine Lust auf Diskussionen oder irgendwelche Demutsgesten. Ich gehe direkt auf den Türsteher zu.

„Hi, ich heiße Hakan! Ich bin kein Stammgast, aber war vor einem halben Jahr hier drin. Meine Freunde und ich wollen nur feiern!“ Es folgen noch weitere Sätze.

Der Türsteher schaut mich starr an. Er ist dreimal so breit wie ich und überragt mich um mehrere Köpfe. Das hatte er nicht erwartet. Er lacht.

Aufheben des Fremden

Für einige Menschen werde ich immer ein Ausländer bleiben. Für die einen bin ich zu Türkisch und für die anderen zu Deutsch. Sie sehen nur das, was sie schon immer gesehen haben, was sie sehen wollen oder auch nur können. Andere nehmen mich als Mensch wahr und entscheiden sich dann… Der Türsteher ließ mich hinein.

Links

[1] Kaya Yanar – Über 60 Millionen Menschen in Deutschland können nicht korrekt Türkisch
http://www.youtube.com/watch?v=tWVJC9FOMxM&feature=player_embedded


3 Antworten zu “Assimilation oder wie werde ich Türke”

  1. Burcu,

    es freut mich wirklich, dass du nicht nur mehrere meiner texte gelesen hast und sie dir gefallen, sondern dass du dir auch die zeit genommen hast, meinen artikel zu kommentieren:-)

    vielen dank,
    Hakan

  2. Hallo Hakan,

    ich habe soeben ganz zufällig so einige Blogs von dir gelesen und finde sie alle ziemlich interessant und toll. Ganz besonders hat mir dieser Text gefallen, vorallem der Satz :,, Andere nehmen mich als Menschen wahr..”
    Du hast echt geniale Einträge, wünsche dir weiterhin viel Erfolg.

    Liebe Grüße

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